Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Neutralität Neuenburgs. 735 
den natürlichen Kern einer im stillen wachsenden demokratischen Oppo- 
sition, die den dynastischen Sinn der Eingeborenen als unschweizerisch, 
den aristokratischen Staatsrat als reaktionär verhöhnte. 
Als der neue König nach dem Dombaufeste das Fürstentum besuchte, 
da jubelte ihm das freie Volk überall so herzlich entgegen, daß jeder Un- 
befangenc fühlen mußte, eine Republik Neuenburg wäre eine ebensolche 
historische Ungeheuerlichkeit wie etwa ein Herzogtum Bern oder ein Fürsten- 
tum Luzern; auch die Gesandten Muralt und Ruchet, welche dem Könige 
die Grüße der Tagsatzung überbrachten, nahmen aus dem wohlgeordneten 
und zufriedenen Ländchen sehr günstige Eindrücke mit hinweg. Nachdem 
der staatsmännische Plan, dem Fürstentum wieder die althistorische Stellung 
eines zugewandten Ortes zuzuweisen, durch Metternichs Gedankenlosigkeit 
leider vereitelt worden war'), geriet der fürstliche Kanton auf der Tag- 
satzung bald in eine tragische Lage. Er stimmte stets untadelhaft nach 
dem Buchstaben des Bundesrechts und hielt treulich das alte Versprechen, 
das die Vertreter der Eidgenossenschaft alljährlich neu beschwören mußten: 
„mit allen Kantonen als gute Verbündete und Freunde zu leben.“ Strenge 
Gerechtigkeit bleibt immer ehrwürdig; doch in Zeiten, die nach der Neu- 
gestaltung eines verlebten Rechts verlangen, wird sie politisch unfruchtbar, 
ja sie ward hier schlechthin unmöglich, seit der kirchliche Streit sich so 
verhängnisvoll mit dem politischen verkettete. Für die rechtswidrige Ver- 
gewaltigung der Sonderbundskantone durften die Neuenburger Konserva- 
tiven nicht eintreten, schon weil die radikale Mehrheit die hohenzollernsche 
Fürstengewalt offen oder heimlich bekämpfte; doch ebenso wenig konnte dieser 
altprotestantische Kanton, dies Land wo einst der Reformator Farel gelehrt 
hatte, die Partei der Jesuiten ergreifen. So blieb nichts übrig als eine 
gefährliche Neutralität, die auch vom Berliner Hofe gebilligt wurde. Als 
nun in der Tagsatzung der Krieg verlangt ward, da sagte Chambrier in 
feuriger Rede (29. Okt. 1847): in diesem gottlosen Kampfe handelt es 
sich weniger um eine Kriegsfrage als um Vernichtung (d'une question 
de meurtre); und doch wollte er sich auch nicht für den katholischen 
Sonderbund erklären, sondern forderte für seinen Kanton Neutralität, 
Befreiung von der Pflicht eidgenössischer Heeresfolge. Die Bitte ward 
natürlich abgeschlagen; vor den Waffen schwiegen die Gesetze. 
Auf diesen entscheidenden Wendepunkt der Geschicke Neuenburgs mußte 
man in Berlin bei einiger Voraussicht längst vorbereitet sein. Dort 
wurden aber die Angelegenheiten des kleinen Fürstentums mit sündlicher 
Sorglosigkeit behandelt. Das neuenburgische Departement des Auswärtigen 
Amts, dem auch der tüchtige Friedrich Chambrier der Jüngere angehörte, 
erledigte die laufenden Geschäfte des Kantons mit der gewohnten preu- 
ßhischen Beamten-Pünktlichkeit. Der einzige Preuße im Kanton, der Gou- 
  
*) S. o. IV. 519.
	        
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