Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Neuenburgs Unterwerfung. 737 
Der alte König hatte nach der Juli-Revolution fast sein ganzes Heer auf 
Kriegsfuß gesetzt, um Deutschlands Neutralität zu schützen; der Sohn wagte 
für die Neuenburger Royalisten nicht einmal eine Brigade aufzubieten 
und jammerte dann noch über seine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit 
der Neuenburger die schützenden Truppen ihres Fürsten mit offenen Armen 
aufgenommen hätte, verstand sich von selbst; die Tagsatzung aber konnte 
nimmermehr wagen, zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen 
zu kämpfen. Solange die Eidgenossen noch nicht wußten, was man diesem 
Könige bieten durfte, hüteten sie sich sorgfältig, seine mächtige Krone 
zu beleidigen. General Dufour weigerte sich entschieden, das Fürstentum 
zu besetzen, obgleich der König es unbeschützt ließ, und selbst der grobe 
Ochsenbein wagte nicht offen zu widersprechen, als der preußische Gesandte 
Sydow zu Anfang Novembers mündlich die tatsächliche Schonung der 
Neutralität Neuenburgs verlangte.“) Die beiden Schweizer wollten er— 
sichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen 
konnten aber nur Waffen sichern. 
Als nun die Eidgenossen siegten, da war der König tief beschämt. 
Nichts, gar nichts hatte er getan, um die Neutralität seines Landes zu 
beschirmen — was doch in ähnlichen Fällen selbst schwache Staaten wie 
Belgien nie verabsäumten. Auch seine Diplomatie verfuhr unbegreiflich 
langsam. Erst am 26. Nov. überreichte Sydow eine Note, welche der 
Tagsatzung ankündigte, daß der König jede Verletzung der Neutralität als 
Friedensbruch und Feindseligkeit gegen sich selbst betrachten müsse; zugleich 
erbot sich Friedrich Wilhelm zur Vermittlung und lud die Eidgenossen 
ein, auf einem europäischen Kongresse, der in der neutralen Stadt Neuen— 
burg abgehalten werden sollte, ihre Klagen und Gegenklagen vorzulegen. 
Was konnte ein solcher Vorschlag fruchten — zwei Tage, nachdem Luzern 
gefallen und der Sonderbund so gut wie vernichtet war? Die Tagsatzung 
lehnte die Vermittlung ab und bestritt dem Könige das Recht in den 
inneren Angelegenheiten der Schweiz mitzureden. Nunmehr mußte auch 
der Kanton für die Schlaffheit seines Fürsten büßen; er wurde von der 
Tagsatzung verurteilt, etwa 440 000 Fr. Strafe für die unterlassene 
Heeresfolge zu zahlen, und schutzlos, wie er war, konnte er sich den völlig 
widerrechtlichen Forderungen der Sieger nicht widersetzen. Dabei verfuhr 
die Tagsatzung noch immer mit einiger Schonung, weil sie den König nicht 
zu sehr verletzen wollte und weil die rechtschaffene Haltung der Neuenburger 
Royalisten doch selbst die radikalen Gegner zur Achtung zwang. Der Kan- 
ton blieb von eidgenössischer Einquartierung verschont; die Strafsumme 
wurde niedrig bemessen, weit niedriger als die schweren, den Sonderbunds- 
kantonen auferlegten Brandschatzungen, und überdies, um die Form zu 
wahren, nur zu Unterstützung der Verwundeten und Hinterbliebenen 
  
*) So erzählte Canitz an Kunyphausen (dessen Bericht, 12. Nov. 1847). 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 47
	        
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