Revolution in Neuenburg. 741
legene Schriftstück bekundete nur die Ratlosigkeit des alten Systems.
Etwas kräftiger redete nachher eine russische Note vom 13. Febr.; sie schloß
sich den Erklärungen der anderen Festlandsmächte an und drohte, bei
längerem Widerstande würde der Zar die Neutralität der Eidgenossen nicht
mehr anerkennen. Die Tagsatzung antwortete wiederum ablehnend, sie
berief sich auf ihr Recht, die schweizerischen Angelegenheiten allein zu ordnen.
Durch diesen Notenkrieg wurde Friedrich Wilhelms Lieblingsplan, der
europäische Kongreß in Neuenburg, rein unmöglich, und nun blieb nichts
mehr übrig als die angedrohte Besetzung der Grenzkantone; doch ehe
man darüber einig werden konnte, brach die Revolution herein.
Furchtbar mußte König Friedrich Wilhelm für die Fehler dieser
törichten Interventionspolitik büßen. Seine Neuenburger Royalisten er-
warteten das Beste von der Einmischung Europas, sie hofften nunmehr,
bald friedlich aus der Eidgenossenschaft ausscheiden zu können, weil sie in
ritterlicher Begeisterung ihren Monarchen für unüberwindlich hielten. Wie
gänzlich verkannten diese Getreuen doch die Lage! Die Tagsatzung selber
wünschte freilich den gefährlichen Streit mit dem Könige von Preußen zu
vermeiden. Aber hinter ihr standen die siegestrunkenen Radikalen. Sie
brannten darauf, die verunglückten Luzerner Freischarenzüge glücklicher zu
erneuern; sie kannten jetzt Friedrich Wilhelms Mut; sie ersehnten den
Augenblick, da sie über den unverteidigten fürstlichen Kanton herfallen und
dieletzte fremde Gewalt, die noch dazu monarchischwar, aus der Eidgenossen-
schaft hinausfegen konnten. Und dieser Augenblick kam, als die Kunde
von der Pariser Februar-Revolution eintraf. Am 29. Februar bildete sich
in La Chaux de Fonds, dem Mittelpunkte der ausländischen Bevölkerung,
eine provisorische Regierung. Durch Zuzüge aus den Nachbarkantonen ver-
stärkt, rückte ein Haufe von Freischärlern gegen die Hauptstadt heran; der
alte Verschwörer Courvoisier, ein Adjutant Ochsenbeins, führte den Haufen.
Königliche Truppen, die den Aufruhr mit leichter Mühe niederschlagen
konnten, waren nicht zur Stelle, das kleine Schutzbataillon des Kantons
vermochte nichts auszurichten und ward aufgelöst. Am 1. März war das
Neuenburger Schloß in den Händen der Rebellen. Der radikale Vorort
Bern aber trat die alten Verträge der Eidgenossen mit Füßen; er ver-
weigerte dem Baron Chambrier den nachgesuchten pflichtschuldigen Bei-
stand und nahm schamlos Partei für den schlechthin frevelhaften Bundes-
bruch. Mit seiner Hilfe wurde die Fürstenherrschaft und ihr Staats-
rat gestürzt, die ehrwürdigen vier Bourgeoisien zerstört, die uralte Ge-
meindefreiheit vernichtet und durch ein hartes Präfektensystem ersetzt; auch
die Akademie mußte fallen, denn sie vertrat die Wissenschaft und war
mithin aristokratisch. Eine rohe Demokratie verdrängte das alte etwas
steife, aber gerechte, ehrliche, gebildete aristokratische Regiment.
Und diesem häßlichen Rechtsbruche mußte der unglückliche Fürst,
der alles selbst verschuldet hatte, jetzt mit gefalteten Händen zuschauen,