Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Verhandlungen der vier Mächte. H. v. Bülow. 75 
Um die Verwirrung zu vollenden, sendete Metternich von Zeit zu Zeit 
übellaunige Depeschen; der konnte sich gar nicht darüber trösten, daß die 
Entscheidung nicht mehr in seinen Händen lag, und fürchtete immer, Ruß- 
lands kopflose Politik würde sich in den englischen Netzen verfangen.“) 
Auch der türkische Gesandte Shekib Pascha vermehrte die Mißklänge dieses 
seltsamen Konzerts; er gehorchte blindlings den Ratschlägen des österreichi- 
schen Bevollmächtigten Neumann, der ausdrücklich beauftragt war, sich seiner 
zu bemächtigen (s'emparer). ) Da Lord Ponsonby die Pforte, trotz ihrer 
Niederlage, beständig zur Erneuerung des Krieges drängte, so zeigte sich 
der Türke sehr zuversichtlich und beschwor die Mächte um baldige Ver- 
urteilung des ägyptischen Rebellen.) 
Die Verwicklung ward unerträglich, beinahe lächerlich. Der preußi- 
sche Gesandte Heinrich von Bülow, der zu Anfang März 1840 nach langem 
Urlaub wieder in London eingetroffen war, schrieb im Juni, nachdem er 
sich viele Wochen hindurch vergeblich um die Aussöhnung der Streiten- 
den bemüht hatte, ganz verzweifelt: „Was ist unter solchen Umständen 
von dem Fortgang der hiesigen Verhandlungen zu erwarten? Schimpf 
und Schande! Man täte besser sie abzubrechen.“)Endlich einigten 
sich die Gesandten der drei Ostmächte zu einem letzten Versuche; sie ver- 
langten von Palmerston vertrauliche Beratungen ohne Frankreich, das 
man vorläufig doch nicht gewinnen könne. Seit dem 21. Juni ver- 
sammelten sich nunmehr die Gesandten der vier Mächte, hinter Guizots 
Rücken, zu regelmäßigen Sonntagssitzungen bei Palmerston; die Stille 
des englischen Sabbats kam dem Geheimnis zu statten. Der europäische 
Kongreß, zu dem man Frankreich förmlich eingeladen hatte, verwandelte 
sich also in eine geheime Konferenz der vier. Dies hinterrückige, aller- 
dings durch Frankreichs Haltung mitverschuldete Verfahren mußte den 
französischen Stolz tief verletzen, sobald es ruchbar ward. Die Gefahr 
eines europäischen Krieges rückte so nahe, daß der friedfertige Minister Wer- 
ther schwer erschrocken dem Gesandten Bülow sein Befremden aussprach und 
ihm nochmals einschärfte, auf jeden Fall der Krone Preußen die so oft aus- 
bedungene Neutralität vorzubehalten.) Die vier einigten sich in ihren 
Sonntagssitzungen über die Grundzüge eines Vertrags zur Rettung des 
Sultans, aber zum förmlichen Abschluß gelangte man noch immer nicht, 
weil Palmerston der Zustimmung seines Kabinetts nicht sicher war. I) 
Vergeblich mahnte Metternich in mehreren Depeschen: die Türkei könne 
den Zustand der Ungewißheit nicht länger mehr ertragen; komme man 
*) Maltzans Bericht, 2. Jan. Metternich an Trauttmannsdorff, 7. März 1840. 
**) Maltzans Bericht, 3. März 1840. 
*7*) Shekib Paschas identische Noten an die Gesandten der fünf Mächte, 2. Juni 1840. 
f) Bülows Berichte, 3. März ff. 12. Juni 1840. 
s Werther, Weisung an Bülow, 16. Juli 1840. 
#s#0 Bülows Berichte, 23. 30. Juni 1840. 
 
	        
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