90 V. 2 Die Kriegsgefahr.
Rachsucht des Zaren befriedigt, Englands mediterranische Herrschaft be-
festigt und für sich selbst nichts davon getragen hätte als einige wertlose
Grenzplätze in Elsaß-Lothringen.
König Friedrich Wilhelm ließ solche Erwägungen gar nicht an sich
herankommen; für ihn hatte der Gedanke eines dritten Pariser Einzugs
keinen Reiz. Er wollte den Frieden, nichts als den Frieden. Erst als
die französischen Drohungen unsere Westgrenze gefährdeten, rüstete er sich
zur Abwehr, und für diesen bescheidenen Zweck der Verteidigung Deutsch-
lands arbeitete die preußische Politik, die sich in den internationalen Lon-
doner Verhandlungen so schwächlich, so widerspruchsvoll gezeigt hatte, mit
ehrenwerter Umsicht und Beharrlichkeit. Der König dachte die Gelegen-
heit zu benutzen und mit dem Bundesheerwesen zugleich die gesamte
deutsche Bundespolitik, die seinem Herzen so teuer blieb, neu zu beleben.
„Zu Frankfurt“, so gestand er einem Vertrauten, „brau' ich mein Eigenstes;
zu keiner Gesandtschaft steh' ich in so unmittelbarem Verhältnis als zu
dieser.“*) Er wußte, wie eifrig sein Vater sich während der letzten Jahre
bemüht hatte, in Frankfurt durch Radowitz eine Verbesserung der elenden
Bundeskriegsverfassung zu bewirken, und wie kläglich alle diese Bemühun-
gen an der Gleichgültigkeit OÖsterreichs gescheitert waren. Gerade in
den Tagen des Thronwechsels berichtete Radowitz hoffnungslos über die
Haltung der Hofburg: „Bei völliger Kenntnis und Einsicht in die vor-
handenen Gebrechen ist dennoch das Interesse an deren Heilung nicht
groß genug oder die Berücksichtigung anderweiter Motive zu vorwiegend.“““)
Durch den Zauber seiner Beredsamkeit hoffte der neue König diesen Wider-
stand zu überwinden; schon auf der Pillnitzer Zusammenkunft sagte er
zu Metternich tiefbewegt, fortan müsse eine neue Zeit auch für die Bundes-
politik kommen. Der Österreicher wich aber aus und vermied auch ferner-
hin ängstlich jedes Gespräch über den Deutschen Bund.
Metternich verbrachte den August und September in Königswart,
wohin er die Gesandten aller Großmächte nebst dem päpstlichen Nuntius
eingeladen hatte. Mit Spannung beobachtete die diplomatische Welt diesen
geheimnisvollen Kongreß. Fleißiger denn je arbeitete Metternichs Feder;
ungezählte Depeschen flogen aus seinem böhmischen Schlosse in alle Welt
und sie klangen alle in hohem Tone. „Die Frage ist ganz einfach die
des die Pforte zu seinem Vorteil fressen wollenden Paschas von Agypten,“
so schrieb er nach Frankfurt. Die orientalische Verwicklung war und
blieb ihm nur ein Kampf zwischen der Revolution und dem legitimen
Sultan; den Bürgerkönig suchte er zu erschrecken durch den Bericht eines
k. k. Agenten, der seit Jahren allen Pariser revolutionären Klubs ange-
hörte und bestimmt versicherte, die Radikalen planten einen neuen Streich
*) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April 1842.
**) Radowitz, Bericht an Werther, 2. Juni. Eichhorn an den Kriegsminister v. Rauch,
9. Juli 1840.