säule“ und ähnlichen Entsetzlichkeiten in Berlin, im stillen
Weimar nisten müssen, damit alle Welt erfahre, daß wir uns
wieder mit dem Poetenlos zufrieden gäben. Dem Geiste
von Weimar stiftete der neue Landesvater Ebert seinen ersten
Kranz. Ist es wieder nur die Sehnsucht der Halbgebildeten
nach Symbolik, die dazu geführt hat, daß die Regierung jetzt
die Volksvertreter in der neuen Aula untergebracht hat, zu
Füßen des gewaltigen Wandgemäldes, auf dem Fichte inidealer
Landschaft seine „Reden andie deutsche Nation" hält, das damals
lebende Geschlecht zur Freiheit des kommenden zu erziehen?
Wäre es doch mehr als das! Wäre es doch das Gelöbnis
zur Deutschheit! Der sittliche Wille zur staatenbildenden Tat
Das unpolitischste Bolk der Erde, das deutsche, ist an seiner
Träumerei erneut zugrunde gegangen, nachdem es in dem
Zahrhundert Bismarcke in freudige Werktätigkeit empor-
gerissen worden war. Der Geheimrat Professor Kahl, in
diesen Räumen der Gastgeber der Nationalversammlung,
ragt noch aus dem großen Jahrhundert zu uns herüber, trägt
noch das Eiserne Kreuz von 1870 — und erinnert die Ver-
sammelten an den Wegbereiter Fichte. Kaum einem der
folgenden Redner ist dabei so recht geheuer. Der leitende
„Staatsmann“ findet zwar in seinem Drange, dem melo-
dramatischen Bedürfnis des Publikums draußen entgegen-
zukommen, sehr pathetische Worte gegen die Vergewaltigungs-
pläne der Entente, ja er verwünscht die Hand, die „die-
sen“ Friedensvertrag unterschriebe, zum Verdorren
und löst, weil man einen Augenblick lang an seine nationale
Festigkeit glaubt, stürmischen Beifall damit aus. Aber was
ihn, den internationalen Sozialdemokraten bedrückt, ist doch
nicht das deutsche Leid, sondern — das unsanfte Erwachen
aus der demokratisch-pazifistischen Träumerei. Und hallend
ertönt Scheidemanns Klage: „Oie Welt ist wieder um
eine Illufion ärmer geworden!“
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