Full text: Friedrich der Vorläufige, die Zietz und die Anderen.

Durch das Land gehbt die Legende, Scheidemann sei doch 
besser als sein Ruf. Welch edler Abgang! Um sein Wort 
nicht zu brechen, um nicht zu unterschreiben, opfere er sein 
Amt. Es fehlt nicht viel, so wird man noch sentimental. 
Aber an dem Gerede, das Scheidemann eine Heldenpose 
andichtet, ist kein wahres Wort. Er hat nicht den aufrechten 
Mann des 12. Mai gespielt, der mit seinem „Unannehmbar“ 
stand und fiel. In der entscheidenden Sitzung des Kabinette, 
dessen Mitglieder mit sieben zu sieben einander die Wage 
hielten, hatte Scheidemann als Plattform den Kompromiß- 
antrag des Zentrums gewählt: den Friedensvertrag zu 
unterzeichnen unter der einzigen Bedingung, daß die 
ehrenrührigen Paragraphen über die Auslieferung von 
Deutschen, über unsere alleinige Schuld am Kriege, über 
unsere moralische Unfähigkeit zum Kolonisieren gestrichen 
würden. Alles andere zu schlucken war die Regierung bereit. 
ODas Unerträgliche, das Unerfüllbare, das Unannehmbare war 
für den Deklamator Scheidemann schon erledigt, er war zur 
Unterschrift fertig, wenn der Vertrag nur, ohne im materiellen 
Inhalt im geringsten gemildert zu sein, ein wenig sein Gesicht 
verändern ließe. 
Er kann nicht anders. Er kann gar nicht das Volk zum 
letzten ehrenhaften „Nein!“ ohne Hörner und Zähne auf- 
rufen, weil er wie überhaupt die gesamte Sozialdemokratie 
seit einem Menschenalter etwa daran gearbeitet haben, jeden 
Sinn für nationale Ehre im deutschen Volke zu ersticken. Die 
Folgen dieser „Erziehungearbeit“ sehen wir vor uns. Bicht 
erst im November 1918 ist Deutschlands Größe zertrümmert 
worden, sondern schon seit Jahrzehnten hat der Umsturz mit 
der Spitzhacke gewütet und die deutsche Moral erschlagen. Es 
ist tief erschütternd, daß man erkennen muß: unser Volk hat 
seine Deutschheit längst verloren, und seine Abgeordneten 
werden deshalb so still, weil sie wissen, sie hätten doch keine 
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