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IV. Freilich sind nicht nur die Nachrichten, die wir über die
Zwischenreiche vor dem Jahrhundert der goldenen Bulle haben, in
jeder Beziehung dürftig, sondern wir können aus ihnen auch ent-
nehmen, dass ein gefesteter Rechtszustand in der fraglichen Hinsicht
nicht bestanden hat. Mochte auch wohl die eine oder andere Per-
sönlichkeit während der Dauer der Thronvakanz die Leitung des
Reichs in die Hand nehmen, politische Macht und allseitige Aner-
kennung errang sie sich niemals, wie sehr ihr auch das Recht zur
Seite stand. Darum brachte jedes Interregnum für Frieden und Sicher-
heit im Reiche schwere Gefahren, und nie vermisste der Deutsche den
Schirm einer starken Reichsgewalt mehr, als wenn der königliche
Schirmherr den Schauplatz verlassen hatte. Immer war er gezwungen,
den besten Schutz in sich selbst und bei dem Nachbar zu suchen;
noch wenige Jahrzehnte vor der goldenen Bulle hielten es viele Reichs-
stände für nöthig, besondere Schutz- und Schirmverträge für die
unruhige kaiserlose Zeit abzuschliessen.!) So hielt man allgemein das
Interregnum für ein politisches Uebel und suchte diesem nach Möglich-
keit abzuhelfen. Gewiss nicht allein im Dienste dynastischer Interessen
geschah es deshalb, wenn schon seit früher Zeit die deutschen Könige,
insoweit nicht eine Geltung des Erbprinzips auf längere oder kürzere
Zeit die Sorge überflüssig machte, Erb- und Wahlprinzip insofern
einander näherten, dass sie sich durch die Wahl eines römischen
Königs noch bei ihren Lebzeiten für den Fall ihres Abgangs den Nach-
folger sicherten. So sehen wir, dass Otto I. durch die im Jahre 967
erfolgte Wahl seines Sohnes Otto IIL., Konrad II. durch die Wahl
Heinrich III. 1028, Heinrich III. durch die seines Sohnes Heinrich IV.
im Jahre 1054 ein Interregnum vereiteln, dass Heinrich V. im Jahre 1105
bei Lebzeiten des Vaters gewählt wird, und dass die staufischen Kaiser
sich mehrfach dieses Auskunftsmittels bedienen. Aber einen römischen
König konnte nur neben sich haben, wer selbst römischer Kaiser
war, zwei römische Könige neben einander gab es nicht’), und wenn
schon dies Erforderniss nicht bei jedem deutschen Könige vorhanden
war, SO war es ausserdem nur zu natürlich, dass das partikularistische
Interesse der emporsteigenden Landeshohen sich oft genug mit aller
Gewalt gegen dieses Mittel aufbäumte, die Krone des Reiches Gene-
rationen hindurch aufHäuptern desselben Geschlechtesruhen zu lassen.?)
1) S. z. B. die Bündnisse Reg. Boica V, 134. 138; Mon. Boica 33a. 334;
Mon. Wittelsbac. II, 149. 152 u. a.
2) ScHRöDER, Deutsche Rechtsgeschichte S. 455, Note 15, S. 468.
3) Lorenz, Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert 8. 512f.