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Anhalt. Am wenigsten für die letztere; denn sowohl die Entstehung
wie der Umfang der Reichsvikariatsrechte beruht ganz unabhängig von
dem Willen des Volkes auf der gesetzlichen Grundlage einer monarchi-
schen Verfassung.
Durchaus dominirend dagegen erscheint während der ganzen
Reichszeit das Dogma des im Interregnum erledigten Thrones,
die Auffassung, dass während des Zwischenreiches das Reich gar kein
Oberhaupt habe und bis zum Regierungsantritte des neuen Monarchen
sich ohne ein Oberhaupt behelfen müsse, mit anderen Worten,
dass die Staatsgewalt keinem Subjekte zu eigenem Rechte zustehe.
„Moriuntur enim“, sagt LimnAeEus!), „moriuntur enim illi (nostri impe-
ratores, im Gegensatze zu den französischen Königen) nee quisquam
successorioillis jure, temporis remota intercapedine, succedit.“
In diesemSinne wird in den Quellen von dem erledigtenReich, von
dem erledigten Thron gesprochen, heisst es vacat imperium, vacat
solium, regno Romano capite privato u.s.f. Der Gedanke ist überall
der, dass im Interregnum ein Monarch fehle, und dass dieser Mangel
nicht dadurch behoben sei, dass etwä einem anderen die gleiche recht-
liche Gewalt wie dem weggefallenen Fürsten zukomme. Auf diesem
Standpunkt stehen insbesondere auch die deutschen Regierungen selbst,
vornehmlich die der Reichsvikarien. Durchgehends findet sich gleich
in den Erklärungen, welche den Antritt der Regierung seitens der
Reichsverweser verkünden, in den sogenannten Vikariatspatenten, als
Grund des Eintrittes des Vikariates die Thatsache angegeben, dass
der Staat durch den Tod des Monarchen des Inhabers seiner Gewalt
beraubt sei. Denn so ist es zu verstehen, wenn es heisst: „so lange das
heilige Riche ledig steet und denn mit einem Romischen Kayser oder
Könige nit verschen ist?)“, wenn gesagt wird: „zu einer Zeit, da
das heilige Reich mit keinem Haupte versehen“, und „bis
dasselbe wiederum mit einem Haupte versehen“, „nachdem
dasselbe sein Oberhaupt verloren.“ 3) Nichts anderes bedeutet es
t) Jur. publ. lib. Il. cap. 12.
2) Vikariatspatentdes Pfalzgrafen Ludwig v.J. 1435 (OLENSCHLAGER, Urkunden-
buch zur goldenen Bulle no. 23).
3) Vgl. die Patente vom 13. Jan. 1612 (Cod. Aug. 1.8. 419), vom 19. März 1619
(Cod. Aug. 1. S. 422), vom 6. April 1657 (Cod. Aug. 1. S. 423), dessen Continuation
vom 9. Febr. 1658 (Cod. Aug. 1.S. 423f.), vom 22. April 1711 (Faser, Europ. Staats-
cantzley XVII. S.627; Cod. Aug. I. S. 425), vom 24. Oktbr. 1740 (Faser LXXVIll.
Anhz. S.14; Cod. Aug. 111. S. 167), und vom 26. Jan. 1745 (Cod. Aug. Ill. S. 169;
Moser, Vom römisch. Kayser u. s. w. S. 788 ff.), ferner vom 25. Febr. 1790 (Cod. Aug.
IV. S. 61) und vom 7. März 1792 (Cod. Aug. IV. S. 63), Schreiben Johann Georgs II.
v. Sachsen an das Kammergericht vom 10. Mai 1657 (Lünıs, Reichsarchiv I. S. 1111).