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rechtlichen Doktrin genügen. Schon Kraur!) that den ersten Sehritt
nach vorwärts. Zwar nennt auch er die Regierung während der
Schwangerschaft der Monarchenwittwe eine Regentschaft im tech-
nischen Sinne und begründet seine Forderung nach Einsetzung einer
solchen mit dem Satze des römischen und deutschen Rechts, dass
der Embryo mit Rücksicht auf alle rechtlichen Vortheile, die ihm
zu statten kommen können, dem Geborenen gleich gehalten werden
müsse, weshalb der nächste lebende Successionsberechtigte nicht
unter Ignorirung der ungeborenen Leibesfrucht vor deren Geburt die
Regierung definitiv übernehmen dürfe.?) Aber er erkennt doch schon,
dass diese Art der Regentschaft eine wesentlich andere sei als alle
übrigen; denn während sonst eine Regentschaft voraussetze, dass ein
Souverän vorhanden sei, der an der eigenen Regierung verhindert
werde, sei hier für den Augenblick kein Inhaber der Staats-
gewalt vorhanden. Von derselben Erkenntniss aus begründet
v. KIRCHENHEIM 3) eine ganz eigenartige Meinung. Auch er bestreitet,
dass eine ungeborene Leibesfrucht Subjekt einer Staatsgewalt sein
könne; er hält es ferner für „misslich“, in dem in Rede stehenden Falle
eine Regentschaft einzusetzen, weil, falls das Kind todt oder thron-
unfähig zur Welt komme, der wahre Thronerbe in seinem Rechte
verkürzt werde und eine Rückdatirung des Thronerwerbs unmöglich
sei. Andererseits leugnet er aber die Möglichkeit, dass der Staat
eine Zeit lang ohne einen Träger der Staatsgewalt existiren könne.
Er knüpft deshalb an die englische Regentschaftsbill vom Jahre 1831
an, die in einem solchen Falle den lebenden präsumtiven Thronerben
den Thron vorbehaltlich der Rechte eines später zur Welt zu bringen-
den königlichen Sprösslings besteigen liess, und behauptet, dass ganz
allgemein „diese feine staatsrechtliche Frage nach dem Muster der
englischen Jurisprudenz zu entscheiden“ sei. Bringt nun die Monar-
chenwittwe ein thronfähiges Kind zur Welt, so tritt der, welcher die
Regierung übernommen hatte, zurück und wird eventuell Regent.*)
1) Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Rechts III. S. 167.
2) Er hält andererseits eine provisorische Thronfolge des Nächst-
berechtigten für ausgeschlossen, da das Staatsrecht eine solche „Erbfolge unter
einer Resolutivbedingung“ ebensowenig wie das Privatrecht kenne.
3) Regentschaft S. 65 ff; Lehrbuch des deutschen Staatsrechts S. 196.
4) Im Lehrbuch des Staatsrechts hat v. KiRCHEXHEIM seine Ansicht nicht
so streng durchgeführt, wie in der Monographie. Er sagt dort (S. 196), es habe,
wenn das Kind tbronfolgeberechtigt zur Welt komme, „da der Embryo nicht Träger
der Krone sein kann, vom Momente des Todes des letzten Inhabers bis zur Ge-
burt eine eigene Art Regentschaft stattgefunden“.