Full text: Das Interregnum.

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einzelner Menschen, die SEYDELsche Theorie nur ein herrenloses Ob- 
jekt erkennen. Dort bleibt der Staat durch das Interregnum ohne 
jede Alteration, hier fällt er mit dem Beginn des Interregnums 
in Trümmer. 
Man erkennt aus diesen Antithesen, dass die richtige Anschauung 
des Interregnums nur durch die rechte Erkenntniss vom Wesen des 
Staates und von dem Inhalt des Rechts der Person, die wir als Träger 
der Staatsgewalt zu eigenem Rechte zu bezeichnen pflegen, insbe- 
sondere also von der Rechtsstellung des Monarchen geboren wer- 
den kann. 
Il. Die Staatsrechtswissenschaft lehrt, dass es neben und über 
den menschlichen, sinnlich wahrnebmbaren Einzelwesen zusammen- 
gesetzte Gemeinwesen giebt, für die wir als ganze eine von der 
Summe ihrer Theile verschiedene, selbständige Wesenheit in Anspruch 
nehmen. Als das höchste dieser Gemeinwesen erkennen wir den 
Staat. In ihm sehen wir das zu einer Einheit erwachsene, sess- 
hafte Volk, gebildet von einer Masse einzelner Volksgenossen, aber 
nicht identisch mit ihrer Summe: keine Vielheit, sondern eine Ein- 
heit. Dieses höchste Gemeinwesen tritt in der Welt des Rechts selbst 
handelnd und wollend auf; seine Handlungen sind nicht Handlungen 
seiner Organe, nicht Aeusserungen ihres individuellen Willens. Denn 
insoweit die Organe des Staates als solche wollen und handeln, han- 
delt der Staat selbst; sie handeln nicht für den Staat, sondern der 
Staat handelt in ihnen.!) Ihre Handlungen sind Aeusserungen eines 
dem Staate als solchen innewohnenden Staatswillens. Der Staat ist 
selbst willensfähig, insofern wir als Willen nicht allein den durch ein 
Zusammenwirken physischer und seelischer Kräfte des mensch- 
lichen Organismus entstandenen Individualwillen, sondern die gleich- 
viel wie gebildete, als Kraft wirkende Ursache der Handlungen jedes 
Rechtswesens begreifen. Weil prinzipiell willensfähig, ist der Staat 
auch Träger einer realen Willensmacht, Träger subjektiver Rechte: 
eine Persönlichkeit. Auf dieser Erkenntniss fusst im Grunde 
die gesamte heutige Staatsrechtswissenschaft, und ihre 'Leugnung 
bedeutet einen Rückschritt von verhängnissvoller Tragweite.?) In 
der That wird auch die Theorie von der heute 
  
1) Vgl. JeLLinek, Lehre v. d. Staatenverbindungen S. 32, Note 43; System 
der subjektiven öffentl. Rechte S. 28f. \ 
2) Allerdings „erkennen wir in der Auffassung des Staates als 2iner selb- 
ständigen Persönlichkeit den grössten Fortschritt der neueren Staatswissenschaft*“. 
SCHULZE, Deutsches Staatsrecht I. S. 21. {
	        
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