Full text: Vorgeschichte des Waffenstillstandes.

Nr. 98. 
Telegramm. 
Bern, den 3. November 1918. 
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt. 
Ganz geheim. 
Verschiedene Vertrauensleute bestätigen unabhängig voneinander, daß aus- 
schlaggebender Einfluß Wilsons erheblich gesährdet set, und daß er wegen Ausbleibens 
des Erfolges in der Abdankungsfrage zur Anwendung der in seiner Note erwähnten 
zweiten Alternative, der bedingungslosen Kapitulation, gezwungen sein würde. Be- 
sonders schädlich scheint eine Nachricht bei der Entente gewirkt zu haben, wonach im 
Bundesrat von Bayern die Abdankung des Kaisers vergeblich gefordert worden sei und 
in Bayern an maßgebender Stelle der Eindruck bestehe, daß Seine Majestät der Kaiser 
den Plan verfolge, bei der ersten Gelegenheit die neue deutsche Regierung zu stürzen. 
Es wird sogar behauptet, daß Bayern Abgesandten der Entente zu verstehen gegeben 
hätte, daß Bayern sich von der Reichspolitik unter Umständen lossagen würde. Von 
zwei verschiedenen Seiten wird mir berichtet, daß in der Entente mit Bayerns Sonder- 
bestrebungen ernst gerechnet werde. Diese Tatsache scheint jedenfalls richtig zu sein, ganz 
gleichgültig, ob die abenteuerlich klingende Nachricht von den bayerischen Emissären 
auf Schwindel beruht oder nicht. 
Ein bewährter italienischer Freund teilt mir mit, daß unter den italienischen 
Sozialisten starke Neigung bestehe zu einer Kooperation mit einer wirklichen demo- 
kratischen deutschen Regierung, die Person des Kaisers aber auszuschließen. 
gez. Romberg. 
Nr. 99. 
Delegramm. 
Hofzug den 5. November 1918. 
Der Kais. Wirkliche Legationsrat an Auswärtiges Amt. 
Der Kaiser ließ mich eben rufen, um Seine Gedanken über Fortführung des 
(Friedensgesprächs unabhängig von Waffenstillstandsverhandlungen näher auszuführen. 
Nach den Vorgängen mit der Türkei und Österreich müsse damit gerechnet wer- 
den, daß die Bedingungen so weitgehend und erniedrigend seien, daß die Armee sich 
weigere, sich ihnen zu beugen. Daraus könne leicht ein Gegensatz zwischen der Auf- 
fassung der Armee und derjenigen der Regierung und den Wünschen des Volkes, das den 
Frieden wolle, entstehen. Vielleicht liege ein solcher Iwiespalt auch in der Absicht der 
Entente, um politisch unsere Widerstandskraft im kritischen Augenblick zu schwächen. 
Dieser Iwiespalt werden den Kaiser und die Regierung in eine höchst schwierige Lage 
bringen. Daher müsse darauf Bedacht genommen werden, Friedensverhandlungen un- 
abhängig von den Verhandlungen über den Waffenstillstand anzubahnen und ihre Fort.- 
setzung zu ermöglichen, selbst wenn die Verhandlungen über den Waffenstillstand 
scheiterten. 
Der Wassenstillstand führe noch nicht ohne weiteres zum Frieden, wohl aber 
könnte sich aus dem Fortschreiten der Friedensverhandlungen eine Situation ergeben, 
in der Waffenstillstand oder wenigstens Waffenruhe leichter zu erzielen sei als heute. 
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