aufmerksam machte, sie hatte derartiges in der vielgerühmten Kaiser—
stadt nicht vermutet. In Hetzendorf erwarteten uns, außer den
vorangefahrenen hohen Herren, Kaiserin Elisabeth, von der mir meine
Mutter erzählt hatte, daß sie die schönste Frau Europas sei, so-
wie Kronprinz Rudolf und die obersten Hofchargen. Der Kaiser
war damals noch von sugendlicher Frische und hatte die Figur eines
Fäáhnrichs. Mit väterlicher Freundlichkeit ruhten seine Augen bei
der Vorstellung auf mir — und dann stand ich vor der Kasserin! Wie
gebannt blickte ich in das von dunklem Haar umrahmte, blendend
schöne Antlitz mit den dunklen Augen. Ich war derart überwältigt,
daß erst eine Mahnung meiner Mutter mich daran erinnern mußte,
der hohen Frau die Hand zu küssen. Ich war völlig hingerissen von
dieser herrlichen Erscheinung, die das Urteil meiner Mutter in jeder
Beziehung rechtfertigte.
Hcßendorf ist ein hübsches, mittelgroßes Rokokoschloß hinter
Schönbrunn, in der Ebene gelegen und von einem schönen Garten
umgeben. Ich wohnte mit General v. Gottberg, meinem Militär-
gouverneur, zu ebener Erde und konnte daher so oft ich wollte in
den Garten hinaus, um mich dort zu ergehen.
Mit dem Kronprinzen Rudolf wurde ich schnell gut bekannt,
was bei seiner gewinnenden Natur, die den Weltunerfahrenen
leicht bestach, nicht zu verwundern war. Wir machten zusammen
viele Ausflüge in die Umgegend von Wien, vor allem in den
wundervollen Wiener Wald, den Lainzer Tiergarten und auf den
Kahlenberg, von dem wir den schönen Blick über die Stadt und
ihre Umgebung genossen. Selbstverständlich haben wir auch alle
Sehenswürdigkekten von Wien besichtigt, unter denen die berühmten
Kleknodien des alten deutschen Katserreichs mich nicht zum wenigsten
interessterten. Ich nahm die Mahlzeiten gewöhnlich gemeinsam mit
Kronprinz Rudolf ein, dann und wann wurden wir auch zur Tafel
bei den Majestäten mit herangezogen. Ich konnte bei diesen Gelegen-
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