Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

heiten und insbesondere bei größeren Festlichkeiten staunend die große 
Pracht des kaiserlichen Hofes mit seinem alten spanischen Zeremoniell 
bewundern. 
Ein Erlebnis mit der Kaiserin ist mir unauslöschlich im Ge— 
dächtnis geblieben. Eines Tages kam die hohe Frau zum Tee nach 
Hetzendorf zu meiner Mutter. Ich schrieb gerade an meinem schon 
erwähnten, leider aber wohl verloren gegangenen Tagebuch, als mich 
meine Mutter in den Garten holen ließ, in dem sie mit der Kaiserin 
spazieren ging. Die Kaiserin begrüßte mich mit der ihr eigenen ge— 
winnenden Freundlichkeit, und dann erteilte mir meine Mutter den 
Auftrag, während des Spazierganges die lange Schleppe Ihrer 
Mafestät zu tragen. Ich habe diesen kleinen „Bagendienst" mit Be- 
geisterung übernommen und dabei die hoheitsvolle Haltung der 
Katserin und den herrlich schwebenden Gang, der sie auszeichnete, 
andächtig bewundert. Von ihr galt buchstäblich, was eine dltere In- 
struktion im Hofton zu fordern pflegte: sie setzte sich nicht, sondern 
sie ließ sich nieder; sie stand nicht auf, sondern sie erhob sich, sie 
ging nicht, sondern ste pflegte zu schreiten. So läßt sich wohl der 
sichere Rhpthmus, der alle Bewegungen der Kaiserin beherrschte, am 
besten kennzeichnen. 
Die kaiserliche Familie war außerordentlich zahlreich, da mit 
Ausnahme des Kaisers Maximilian von Mexiko alle Brüder des 
Katsers noch am Leben waren und ebenso noch viele nähere Ver— 
wandke, die zum Teil zahlreiche Familien besaßen. Bor allem freute 
es mich, zum ersten Male Erzherzog Albrecht zu sehen, den be- 
rühmten Sieger von Custozza. Des weiteren wurde ich sehr freund- 
lich vom Erzherzog RNainer, dem Schwager des Erzherzogs Al- 
brecht, behandelt, der als großer Kunstkenner mich auf die reichen 
Sammlungen in Wi#n aufmerksam machte. Auch Erzherzog Friedrich 
und die Erzherzogin Elisabeth nahmen sich meiner freundlich an. 
Die Erzherzogin war eine imposante Erscheinung und wies eine 
87
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.