Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

bekannten Geheimen Regierungsrates. Er gehörte der liberalen Rich- 
tung an und war Mitglied des Protestanten-Vereins, er machte 
auf mich einen verenöcherten und vergrübelten Eindruck und hat mir 
nichts für mein Leben mitgegeben. Thedoretisch (oder soll ich sagen: 
theologisch?)) hat er mich wohl ganz gut vorwärtsgebracht, aber die 
wahrhaft erhebende Weihe fener Zeit empfing ich durch die mehr als 
früher gepflegte Lehre des Herrn — nicht dessen, was Menschenwerk 
ist. Ich habe in fener Zeit viel über die ewigen Fragen nachgedacht, 
um Klarheit zu gewinnen, und manche Uberlegung auch auf Anraten 
des Predigers als „Meditation“ zu Papier gebracht. Meine „Medi- 
tationen“ entfernten sich freilich sehr bald vom Inhalt der Vorträge 
von Persius und gingen über zur Bewunderung des Himmelsgewölbes 
und des blauen Meeres, sowie der auf ihm dahinziehenden Schiffe 
und Fischerboote. Aus diesen Stunden des Nachdenkens erwuchs 
schließlich mein Glaubensbekenntnis, das ich bei meiner Einsegnung 
vorzulesen hatte. 
In Hinzpeters Aufzeichnungen finde ich über diese Zeit meiner 
relgkösen Borberektung einige Ausführungen, die an die oben") 
wiedergegebenen anschließen und mir ebenfalls des Abdrucks wert 
erscheinen: 
4Da ist es dann später den zum Konfirmationsunterricht berufenen 
Predigern außerordentlich leicht geworden, die christliche Lehre in ihrer 
kirchlich firierten und vorgeschriebenen Corm dem Prinzen zu geben. 
Wie der erste Religkonsunterricht möglichst undogmatisch gewesen war, 
sollte nun der dogmatische möglichst unkonfessionell gegeben werden. 
Esnmal sollte dem Prinzen selbst die Freiheit gewahrt bleiben, die 
christliche Lehre seiner eigenen Individualität sowelt anzupassen, daß 
sie die Richtschnur seines Lebens bleiben könne, und weiter sollte ihm 
trotz oder vielmehr wegen seiner festen religfösen Uberzeugung die 
  
*) Selte 64/65. 
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