Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Freiheit der Anschauung bewahrt werden, deren ein preußischer König 
und deutscher Kaiser bedarf zum gerechten Regieren über konfessionell 
so verschiedene Untertanen. Es wurde deshalb mit großer Vorsicht 
ein Geistlicher ausgewählt, welcher sich von jeder Parteistellung fern— 
gehalten. Und zwar geschah dies mit der offiziellen Motivierung, 
es sei die sehr natürliche Absicht, dem Knaben die christliche Lehre so 
bieten zu lassen, daß er zu seinem eignen Leben sie verwenden könne. 
Die Zeit werde früh genug kommen, in welcher er dieselbe als politisches 
Streitobjekt ansehen müsse und werde. Dazu sei aber die erste Be— 
dingung, daß ein Geistlicher gewählt werde, dem weder seine Neigung 
noch seine Stellung ein Hineinziehen des dogmatischen und kon— 
fessionellen Streites in den Konfirmationsunterricht zur angenehmen 
Pflicht mache. 
Die am Schluß abgehaltenen strengen, wenn nicht mißtrauischen 
Prüfungen fielen glänzend aus und bewiesen klar, daß der Prinz 
die Kirchenlehre vollkommen beherrschte. Er selbst erklärte auch in eben 
dieser Zeit bei einem intimeren Gespräch, er habe erkannt, daß das 
Christentum die Wahrheit enthalte und er gedenke sein Leben danach 
einzurichten. Die Abfassung des Glaubensbekenntnisses, welches er 
nach der Tradition der Familie an dem Tage der Konfirmation vor 
der versammelten Gemeinde vorzulesen hatte, zeigte sich dennoch 
schwierig. Es sollte im Gegensatz zu dem sonstigen Gebrauch möglichst 
individuell gehalten sein und selbständig aufgestellt werden, obwohl es 
doch andererseits immer nur eine mehr oder weniger persönlich gefärbte 
Paraphrase des Apostolischen Glaubensbekenntnisses sein konnte und 
durfte. Der Prinz pflegte dann zu diesem Behuf einsame Spazkter- 
gänge am Strande von Scheveningen zum „Meditieren“ zu unter- 
nehmen, und es bildete diese Arbeit das wichtigste Interesse während 
des Aufenthaltes an der See im Sommer 1874. 
Uberhaupt wurde für den Prinzen, nachdem er die christliche Lehre 
mit Andacht und Begierde aufgenommen hatte, die Konfirmations= 
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