Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

unvergeßlich, die ganze Liebe eines Großvaters zu seinem Enkelsohn 
kam dann zum Ausdruck. Das Essen fand in solchen Fällen immer 
in dem Salon vor seinem Schreibzimmer statt, an einem kleinen 
grünen Whisttisch, der sehr wacklig war und eine überaus vorsichtige 
Behandlung verlangte. Zum Braten wurde eine Flasche Sekt auf 
den Tisch gestellt, die der Kaiser selbst entkorkte und aus der er eigen- 
händig sich und mir je zwei Glas einschenkte. Nach dem zweiten 
Glas pflegte er die Flasche gegen das Licht zu halten und in der 
Höhe des Inhalts einen Bleistiftstrich auf dem Etikett zu machen, 
damit wollte er, sparsam wie er war, kontrollieren, ob die Diener 
die Flasche aufhoben oder etwa seinem Befehl entgegen ihm am 
nächsten Tage eine frische vorsetzten. Geraucht wurde nach Tisch 
nicht, wie der Kaiser überhaupt nicht zu rauchen pflegte, besuchte er 
ein Offizierkasino, so zündete er sich wohl eine Zigarette an, um das 
Zeichen zum Rauchen zu geben, nahm aber nur wenige Züge. 
Bei diesem kleinen Essen zu zweien pflegte mein Großvater mit 
seinen Gedanken oft in die Vergangenheit zu schweifen und Episoden 
und Anekdoten aus verklungenen Zeiten zu erzählen. Einige davon, 
die von seinem bekanntlich sehr witzig gewesenen Bruder handeln, 
erscheinen mir der Wiedergabe wert. 
König Friedrich Wilhelm IV. war einst vom Generalintendanten 
der Königlichen Theater gebeten worden, einer neuen Oper beizu- 
wohnen. Der Besauch gestaltete sich aber sehr langweilig, und der 
König verließ schon vor Ende des ersten Aktes die Vorstellung. Wie 
er aus seiner Loge heraustritt, sieht er den Logenschließer auf seinem 
Stuhle sitzend und in tiefsten Schlaf versunken. Entsetzt will der 
Intendant auf den pflichtvergessenen Beamten zueilen, um ihn zu 
wecken, — als der König ihn zurückhält und mit den Worten zu be— 
gütigen versucht: „Pst! Lassen Sie ihn! Er hat gehorcht!“ J 
Es war damals, wie noch zu meiner Zeit, üblich, sich die Abend— 
stunden in Gesellschaft mit Scharaden zu vertreiben. Oft ließ der 
100
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.