Nickerchen machte. Ich saß nicht mit in der Kaiserloge, sondern in
der meiner Familie. Waren mehrere Mitglieder unserer Familie dort,
so kam mein Großvater öfter in den Pausen zu Besuch. Streng
hielt er darauf, daß wir Jüngeren unbedingt Front zum Publikum
nahmen. Er wies dann immer auf die Erfahrungen hin, die er in
seiner Zugend 1817 in Paris gemacht hatte, wo das Bublikum bei
Vorkommen des Gegenteils den Fürstlichkeiten zuzurufen pflegte:
„Face au publique!“
Auch am Historischen Eckfenster habe ich einmal mit meinem Groß-
vater gestanden, als die Wache aufzog und das Bublikum ihn be-
grüßte. Als ich meiner Freude über die Liebe Ausdruck gab, die
aus dem Jubel des Volkes sprach, gab das mein Großvater wohl
zu, gedachte aber auch der Tatsache, daß er einst vor denselben Ber-
linern hatte flüchten müssen. Er sagte das ohne Bitterkeit, ganz mit
der abgeklärten Weisheit des Alters, das die Vergänglichkeit und
Veränderlichkeit alles Irdischen in den tiefsten Tiefen erkannt hat.
Mehr als einmal bin ich gefragt worden, ob mein Großpater
se zu mir von Prinzeß Elisa Radziwill, seiner Zugendliebe, gesprochen
hat. Das ist nicht der Fall gewesen, und ich kann mich nicht ent-
sinnen, überhaupt je zu seinen Lebzeiten von dieser Herzensangelegen-
heit gehört zu haben. Ich bin daran erst vor kurzem durch eine
Relkqute erinnert worden, die mir meine Tante, Großherzogin Lutse
von Baden, vermacht hat. Es handelt sich um ein Neues Testament,
das der Prinzessin gehört hat, nach ihrem Tode von ihrer Mutter,
Fürstin Luise, meinem Großvater geschenkt wurde, aus dessen Nachlaß
es an die Großherzogin kam. Auf dem Büchlein, das 1818 im
Leipziger Verlage Karl Tauchnitz erschienen ist, ist ein kleines Kruzifir
aus Lapislazuli befestigt, an den vier Kreuzenden ist je eine kleine
Kugel aus Türkis angebracht, die ihrerseits wiederum mit einem
kleinen Edelstein besetzt ist. Wie aus Eintragungen hervorgeht, hat
Fürstin Luise das Büchlein ihrer Tochter zur Konfirmation am
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