Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

mit ihm außerordentlich gewinnbringend. Auch bei Königin Victorka 
stand er in hohem Ansehen, und ebenso verehrte ihn ihr Leibarzt 
Sir James Reid, der überhaupt ein großer Anhänger der deutschen 
Medizin war. Ich werde Leutholds stets mit großer Dankbarkeit 
gedenken. · 
Unter den Hofpredigern war die führende Persönlichkeit zur Zeit 
meines Großvaters Oberhofprediger D. Kögel. Seine Figur zeich- 
nete sich burch eine solche Größe aus, daß er einst Flügelmann des 
Kaiser Alexander-Garde-Grenadierregiments Nr. 1 gewesen war. Aus 
seinem Gesicht sprachen Energie und ein gewisser Fanatismus, der 
ihm zuweilen etwas Finsteres verlieh, er war leidenschaftlich „ortho- 
dox“. Seine Predigten waren voll kühnen Gedankenschwunges und 
in der Form vollendet, doch fehlte es ihnen an einer gewissen sym- 
pathischen Wärme, sie wirkten mehr auf den Berstand als auf das 
Herz. Im Königlichen Hause genoß er allgemein hohes Ansehen 
und stand besonders meinen Großeltern sehr nahe, er hat ihnen bei- 
den wundervolle Gedächtnisreden gehalten. Bei dem Gedenkgottes- 
dienst für meine Großmutter in der Kapelle des Schlosses zu Berlin 
mußte er seine Rede plötzlich abbrechen, da er von einem Unwohl- 
sein befallen wurde, das ein Aussetzen des Gedächtnisses zur Folge 
hatte. Ich erfuhr später von den Arzten, daß D. Kögel während 
seines ganzen Lebens keine Predigt, keine Ansprache frei gehalten, 
sondern alle auswendig gelernt hatte. Die vielen Andachten an den 
Sterbelagern meiner beiden Großeltern hatten ihn so überanstrengt, 
daß schließlich das Gedächtnis den Dienst versagte. Sein Ausscheiden 
bedeutete das Verschwinden einer der markantesten Bersönlichkeiten 
unter den Geistlichen seiner Zeit. 
*# 
In engen Beziehungen zu meiner Tante Luise, wie vor allem 
auch zu meiner Großmutter stand Hofprediger Frommel, der aus 
8Uus meinem Leben 113
	        
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