Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

sah, stiegen alle diese Gedanken mit doppelter Macht in mir auf, 
da aber dachte ich an meine Einsegnung und an das Lied, welches 
dabei gesungen worden war: „Ein feste Burg ist unser Gott“, und 
die Zweifel und Gedanken verschwanden wie böse Gespenster oder 
Spukgestalten.? 
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Im Fürstenhof zu Kassel wäre es uns beinahe wie auf Schloß 
Wernigerode ergangen. Erst nach langem Palaver zwischen dem empör- 
ten Hinzpeter und dem Vortier, der zwei preußische Brinzen erwartete, 
die wir doch unmöglich sein könnten, wurden wir endlich eingelassen. 
Uberhaupt waren die Umstände unseres „Einzugs“ In Kassel so selt- 
sam und eigenartig, daß ich es mir nicht versagen kann, hier aus 
Hinzpeters Tagebuch die betreffende Stelle vom 12. September 1874 
einzureihen. Sie dürfte auch hervorragend geeignet sein, den Geist 
und die Gesinnung zu kennzeichnen, die meine ganze Erziehung be- 
herrscht haben: -Wir zogen in Kassel ein unter eigentümlichen Formen, 
im bewußten Gegensatz zu der Phantasie der Menge. MWir saßen 
sehr vergnügt im Landwehrhagen in der Kegelbahn einer Fuhrmanns- 
knespe, saures Bier und hartes Brot mit gesalzener Butter zu uns 
nehmend. Es regnete dazu und sch hielt meinen Regenschirm über 
das Frühstück, um das Bter nicht noch wäßriger werden zu lassen, 
denn wir bedurften der Stärkung nach einem beschwerlichen Marsche. 
Wir hörten dort das Pfeifen der Lokomotive und wußten daraus, 
daß in diesem Moment der Kaiser im Triumph in Kassel einzog, im 
bequemen Salonwagen, geehrt, geprlesen, gut dinierend, in vollem 
Genuß der erworbenen Stellung nach der Arbeit des Lebens, während 
Prinz Wilhelm hier ebenso dürftig gefrühstückt, mit müden Beinen 
und leerem Magen in echter Weise des fahrenden Schülers nach 
Kassel marschiert und in Kassel einzieht. Und diese Moralpredigt in 
Wort und Tat findet vollen Beifall. Um nicht mit dem Kaiser in 
Kassel zu sein, treiben wir uns In der Umgebung herum, finden mit 
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