Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

daß meine Großmutter, was seit dem Tode des Prinzgemahls nicht 
geschehen war, an einem großen Familienfeste, wenn auch in Trauer, 
teilnahm. Acht Tage nach unserer Heimkehr von dem fröhlichen 
Feste traf uns der schwere Schlag: am 27. März starb mein Bruder 
Waldemar an der Diphtherie. Das Leid meiner Eltern über den 
Verlust dieses stattlichen Sohnes war unsagbar, unser Schmerz über 
alle Worte tief und grausam. Dem dahingeschiedenen Bruder die 
Totenwache in der Friedenskirche zu halten, war das einzige, was 
ich ihm an Liebe noch erweisen konnte. 
Einige Wochen der Ruhe in Homburg sollten uns helfen, diesen Schick- 
salsschlag zu überwinden. 
“ * * 
Im August 1879 entstand plötzlich infolge eines Briefes Zar 
Alexanders II. an meinen Großvater eine schwere politische Krisis. 
In Ausführung des Berliner Vertrages von 1878, der den ent- 
scheidenden Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Rußland und 
Deutschland bildete, war eine Kommisston aus den Signatarmächten 
zusammengetreten, um die neuen Grenzen auf dem Balban festzu- 
legen, dabei glaubten die Russen Anlaß zu haben, mit der Haltung 
der deutschen Bertreter unzufrieden zu sein. In seinem Beschwerde- 
briefe hatte nun der Zar dem Kaiser vorgeworfen, „eine persönliche 
Verstimmung" Fürst Bismarcks sei das Motiv für die Haltung 
Deutschlands gegentiber Rußland, weiterhin sich auf die Dienste be- 
rufen, die Rußland dem Nachbarstaate während des Krieges 1870 
erwiesen, und mit unverhüllten Drohungen geschlossen. Mein Groß- 
vater war tief verletzt über die Handlungsweise seines Neffen, um so 
mehr als er selbst noch aus seiner Jugendzeit her die stärksten russischen 
Sympathien hegte und ihm die deutsch-russische Freundschaft ein „Heili- 
ges Vermächtnis' war. Daß die Stimmung in Rußland setzt eine 
ganz andere war, wollte er nicht erkennen. Infolge des Zarenbriefes 
wurde Generalfeldmarschall v. Manteuffel mit einem kaiserlichen Ant- 
181
	        
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