Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Im Kasino verschwanden die im Dilenste streng innegehaltenen 
Chargenabstände völlig. Bom Leutnant bis zum Stabsoffizker ver- 
kehrten alle in harmonischem Zusammensein miteinander. Greitag 
war der Abend, an dem auch die Berheirateten des Regiments zu 
erscheinen hatten und der gestrenge Herr Oberst seine Offiziere um 
sich versammeln konnte, um sich von ihrer Entwicklung in gesellschaft- 
licher und geistiger Beziehung zu überzeugen. Ich habe stets unter 
den Kameraden meiner Charge bei Tisch gesessen und verließ nur 
schweren Herzens, als ich unter die Hauptleute gehen mußte, den 
„Mitteltisch'“, wo die lustigen Leutnants saßen. Aber sowohl als 
Hauptmann wie als Stabsoffizier habe ich doch hie und da einmal einen 
Abstecher an den „Mitteltisch“ gemacht, solange meine Generation 
noch an ihm schaltete und waltete. 
Die Jahre frohen, arbeiksreichen und kameradschaftlichen Lebens 
im Ersten Garderegiment zu Fuß werde ich nie vergessen. Hier lernte 
ich, was altpreußischer Geist und altpreußische Kameradschaft bedeuten. 
Wir lebten in den Traditionen Griedrich Wilhelms I. und Friedrichs 
des Großen und fühlten uns stolz als Soldaten Seiner Majestät, 
wie er uns stets „Mein“" Erstes Garderegiment zu Fuß nannte. 
„Semper talis“ stand auf den Grenadkermützen der „Langen Kerls“, 
„semper tales“ waren wir, und „Semper talis“ blieb der Geist im 
Regiment, blieb auch das Band zwischen ihm und mir bis heute. 
Zu meiner Silbernen Hochzeit und zum Regierungs-Jubiläum er- 
schienen meine Grenadkere, soweit sie noch am Leben waren, vollzählig 
zum Appell vor dem Neuen Palais, einzelne waren sogar aus Amerika 
herübergekommen. Die Freude war groß, als wir uns wieder Aug 
in Auge gegenüberstanden und uns der schönen alten Zeiten erinnern 
konnten. Mein leider zu früh verstorbener Flügeladfutant Freiherr 
v. Berg hat eine anschauliche kleine Broschüre über meine Kompagnie- 
chefszelt für meine Grenadiere geschrieben, die sedem einzelnen aus- 
gehändigt worden ist. 
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