Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

dieses sie abstotzen mußte. Sie hat im Gegensatz zu vielen deutschen 
Prinzessinnen, die ins Ausland gehelratet haben, ihre Heimat immer 
am hböchsten gestellt, nichts ging ihr darüber. Man wird das sub- 
sektiv nicht nur verstehen, sondern sogar ehren müssen, auch wer, 
wie ich, in allem rein deutsch und rein preußisch gedacht und gefühlt 
hat, aber es hat das doch, wie ich hier nur andeuten will, zu Gegen- 
sätzlichkeiten geführt, die zwischen Mutter und Sohn besser vermieden 
werden. 
Eine gute Kennerin war meine Mutter auf dem Gebiete der 
bildenden Kunst, die meisten Gemäldegalerien Europas waren ihr 
bekannt und vertraut. Ste hat an Gemälden selbst vieles zusammen- 
gebracht, das den Grundstock für das nachmalige Kaiser-Friedrich- 
Museum gebildet hat. Sie hat die Kunst auch selbst ausgeübt und 
hübsche Aquarell= und Olbilder geschaffen: italienische Landschaften, 
Porträts und Stilleben, besonders Blumenstücke. Ich entsinne mich 
noch der schönen Stunden, wenn meine Mutter in ihrem Aitelier, 
das im ersten Stock des Kronprinzenpalais an der Ecke nach der 
Oberwallstraße, mit dem Genster nach der Neuen Wache zu, gelegen 
war, an der Staffelei saß und malte. Ich mußte ihr dabei gewöhnlich 
vorlesen, meist lustige englische Geschichten, und sch habe es dann 
oft erlebt, wie sie die Palette hinwarf, um recht herzhaft zu lachen. 
Es war übrigens auch in ihrem Bibliothekszimmer, das ihr gleich- 
zeitig als Wohnzimmer diente, immer sehr hübsch. Der Raum lag 
nämlich sehr eigenartig in dem Schwibbogen, der vom Kronprinzen- 
zum Prinzessinnenpalais führt. Die Fenster gehen nach beiden Seiten 
hinaus, sowohl nach den Linden wie nach der Oberwallstraße, und 
es war für mich als Kind immer höchst interessant, von dort aus das 
Leben und Treiben auf den Straßen zu beobachten. Zwischen den 
Genstern standen in offenen Regalen die zahlreichen Bücher meiner 
Mutter, in denen zu „schmökern“ ebenfalls ein besonderer Genuß 
für mich war. 
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