Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

aus. Die Festlichkeiten verliefen genau nach Programm und mit einer 
geradezu peinlichen Bünktlichkelt, auf die der Katser ungeheuer scharf 
hielt. Kronprinz Rudolf hatte uns darauf aufmerksam gemacht, daß 
der Katser grundsätzlich fünfzehn bis zwanzig Minuten vor der fest- 
gesetzten Zeit zu erscheinen pflege: die Golge davon sel, daß sich die 
Katserliche Famille bereits eine halbe Stunde vor Tisch versammle. 
Wir haben natürlich diesen Wink genau befolgk, was bei dem ersten 
Essen den Kaiser zu dem Scherz veranlaßte: Wir als Gäste brauchten 
diese „Unsitte“ nicht mitzumachen) er habe meine Frau abholen wollen. 
Späterhin erfuhr ich aber, daß er seiner Umgebung mit dem Aus- 
druck der Anerkennung erklärt habe, das Prinzenpaar Wilhelm sei 
sehr pünktlich. Der gleichzeitig zur Hochzeit in Wien anwesende 
Brinz von Wales konnte sich an diese Bünktlichkekt nicht gewöhnen 
und ging infolgedessen eines gleichen Lobes verlustig. 
Die katserliche Küche war gut, aber schwer. Eine gewisse Be- 
rühmtheit hatte das Kfeblingsgericht des Katsers, der Rinderschmor- 
braten, erlangt. Die Tafel war stets mit prächtigen goldenen Auf- 
sätzen und Kübeln versehen, in denen die erlesensten Blumen, meistens 
Orchideen aus den Treibhäusern in Schönbrunn, zu farbenfrohen 
Gruppen zusammengestellt waren. Der Kalser war ein großer 
Blumenfreund und liebte besonders Orchideen in allen Spielarten. 
Nichts machte ihm mehr Freude, als wenn man den Blumenschmuck 
seiner Tafel lobte, was man in der Tak mit gutem Gewissen tun konnte. 
Auf der deutschen Botschaft und in österreichischen Häusern hatten 
wir häufig Gelegenheit, führende Persönlichkeiten aus der Wiener 
Gesellschaft kennen zu lernen: die Damen meist stattliche Erschei- 
nungen, oft von großer Schönheit, strahlend im Glanze reichen 
Familtenschmucks, die Herren schlank und gut gewachsen in eleganten 
Zivilkleidern oder Uniformen, alle ausnahmslos von der gewinnenden 
österrelchischen Liebenswürdigkelt und Urbanität, die den Fremden 
sehr schnell bestrickt. Im gastlichen Hause des Erzherzogs Karl Ludwig 
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