am 19. aufgefordert hatte. Gegen alle Erwartung ehrte mich der
Zar noch dadurch in hohem Maße, daß er mich in seinem offenen
Wagen vom Anitschkoff-Balais zum Bahnhof geleitete, wozu er
preußische Uniform angelegt hatte. Diese Auszeichnung machte all-
gemein um so größeren Eindruck, als der Zar sonst selbst bei Sou-
veränen schwer zu diesem Höflichkeitsakte zu bewegen war. Auf dem
Bahnhof hatten sich alle Großfürsten und die Deputation des 85.
Wiborgschen Regiments eingefunden, um sich von mir zu verabschieden.
Ich konnte von Petersburg in dem Bewußtsein scheiden, meine
Sendung nach besten Kräften erfüllt zu haben.
*
Am WMorgen des 23. Mai kam ich in Moskau an. Nach dem
üblichen Empfang auf dem Bahnhof fuhr ich nach dem Kreml, wo
der Zar mir ein Quartier hatte bereitstellen lassen. Dort wurde ich
von dem Generalgouverneur und Krönungsmarschall Fürst Dolgorukoff
empfangen, während der Bräsident des Moskauer Hofkontors Graf
Orloff-Dawoydoff und seine Gemahlin sich meiner auf das entgegen-
kommendste annahmen und für mich sorgten.
Der berühmte Kreml ist kein Schloß, sondern eine Stadt für sich.
Er besteht aus Palästen, Kathedralen, Klöstern, Kapellen, Kasernen
und Berwaltungsgebäuden, wird umschlossen von der weltbekannten
alten Mauer mit ihren gespaltenen Zinnen, und flankiert von einer
Anzahl verschiedenförmiger Türme. Bei meinem Rundgang durch den
Hauptpalast besuchte ich zunächst die Räume, die bei den Krönungs-
feierlichketten benutzt wurden und die, zum Teil in byzantinischem
Stil mit Goldmosaik gehalten, einen ungemein prächtigen Eindruck
machten, der Einfluß des Orkents war bereits unverkennbar. Daran
schloß sich ein Rundgang durch die „Ordenssäle“, die so genannt
wurden, weil seder russische Orden einen Saal hatte, dessen Wände
und Möbel mit Stoff von der Farbe des Ordensbandes bezogen
waren, während die Decken die Ordenssterne und Anhänger in großem
301