tisch) bot eine solche Fülle auserlesener Delikatessen und Liköre, daß
sie für preußische Verhältnisse vollauf genügt hätte, den Hunger zu
stillen. Das Menu wies weit über ein Dutzend Gänge auf, zu
denen der liebenswürdige Wirt „freundlichst nötigte“. Die Dauer
des Essens betrug über zwei Stunden, und die alten Herren wurden
allmählich jovial und angeregt. Am Schluß des Diners brachte
Gürst Dolgorukoff drei Hurras auf den Zaren und, in Erinnerung
an die alten preußisch-russischen Traditionen, auf meinen Großvater
aus. Nach Tisch wurde in einem Nebensaal geraucht, während
Zigeuner und Zigeunerinnen mit glockenreinen Stimmen in kunstvoll
abgestimmtem Chor russische Bolkslieder sangen.
Um Mitternacht brachte mich der Fürst nach dem Bahnhof, wo
sich das Offizierkorps des Grenadierregiments Friedrich Wilhelm IV.
zum Abschied eingefunden hatte# auch viele der Tischgäste hatten es
sich nicht nehmen lassen mitzukommen. Nach herzlicher Berabschiedung
von meinem liebenswürdigen Gastgeber stieg ich in den mir vom
Zaren zur Berfügung gestellten Sonderzug, der unter Hurrarufen
die Halle verließ. Am 28. Mai traf ich wieder in Berlin ein.
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Mein nächster Besuch auf russischem Boden fand 1886 statt.
Im Februar dieses Jahres lud mich der Generaladjutant meines
Großvaters, Fürst Anton Radziwill, zur Bärenjagd auf seine russischen
Besitzungen ein. Nachdem mein Großvater mir den erbetenen Ur-
laub bewilligt hatte, wurde am 12. Februar die Reise über Warschau
nach Nieswiecz, dem uralten Schlosse der Fürsten Radziwill im
Gouvernement Minsk, angetreten. Mein Adjutant, Major v. Krosigk,
begleitete mich. Einige Stationen vor Warschau kam der vom Fürsten
Bismarck hochgeschätzte Generalkonsul Baron v. Rechenberg in unseren
Wagen und erzählte uns einiges über Warschauer Berhältnisse. Auf
der Station Baranowitschi, von der damals gerüchtweise verlautete,
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