Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

sie solle ein großer Eisenbahnknotenpunkt werden, verließen wir den 
Zug und bestiegen die Reiseschlitten. Diese sahen von außen wie 
auf Kufen gesetzte Oberteile von Kaleschen aus, innen waren sie ge— 
räumig und mit Bärenfellen ausgeschlagen, in die man sich se nach 
Wahl mehr sitzend oder liegend einhüllte, so daß man unter dem 
heruntergezogenen Verdeck wohlgeborgen war. 
Die Fahrt ging durch öde und trostlose, metertief mit Schnee 
bedeckte Gegend, auf einem Wege, der nach unseren Begriffen nichts 
als eine aus nebeneinanderliegenden Gleisen bestehende Trift und 
als Straße nur durch die zu beiden Seiten stehenden Birken mar- 
kiert war. Diese Birbenalleen, die die Zarin Katharina in ganz 
Rußland hatte anlegen und durch Androhung der Todesstrafe vor 
dem Abholzen schützen lassen, waren sehr nützlich, da die von Schnee 
bedeckte Landschaft bei Dunkelheit dem Fahrenden keinerlei Orten- 
tierungspunkte bietet. 
Auf dem Hofe des gewaltigen, von Erdbastionen umgebenen 
Schlosses Nieswiecz empfingen mich der Kommandeur und das 
Offizierkorps des im Ort garnisonierenden Dragonerregiments, dessen 
Chef der Landgraf von Hessen war. Bei einem Nundgang durch 
das Schloß zeigte mir der Fürst eine große Galerte von VPorträts 
seiner Borfahren: die Herren waren von martialischem Aussehen, 
hielten fast alle einen goldenen Streitkolben in der Hand und waren 
zumeist in langen, pelzbesetzten Gewändern dargestellt. Ich konnte 
mich der Bemerkung nicht enthalten, daß ich diese Bilder nicht eben 
als künstlerisch übermäßig hochstehend anzusehen vermöchte. Darauf 
fing der joviale Fürst an laut zu lachen, indem er sagte, er teile 
durchaus mein Urteil und wolle mir die Geschichte der Bilder er- 
zählen. Sein Oheim, der Generalleutnant Leo Radziwill, habe 
sich einstmals einen Maler aus Grankreich verschrieben, um die stark 
in Verfall geratenen Bilder wieder herzustellen. Nachdem dieser ein- 
getroffen war, führte Radziwill den Künstler in den Saal und nannte 
300
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.