einstmals mit dem Lineal als direlte Verbindungslinie zwischen
Moskau und Warschau nach der Karte gezogen hatte, sie berührte
wenig Städte und fast gar keine Dörfer, so daß sie kaum benutzt
wurde.
In der kleinen Stadt Kilez wurde eine Futterpause für die Pferde
eingelegt. Da das Wetter herrlich war, minus 7 Grad bei strahlen-
dem Sonnenschein, war die gesamte Bevölkerung des Ortes auf den
Beinen und umstand neugierig, doch ohne zudringlich zu sein, unseren
Schlitten, dessen Verdeck zurückgeschlagen war. Die Männer trugen
den üblichen großen russischen Bauernpelz, ihre faltigen, von großen
blonden Bärten umrahmten Gesichter mit den hellblauen Augen er-
innerten in gewisser Beziehung an Dürersche Apostelköpfe. Die
Frauen waren durchweg kräftig und gut gebaut, am Oberkörper nur
mit einem Hemde bekleidet, das die Arme frei ließ und bis zum
Gürtel offen stand. Dieser hielt einen Rock zusammen, der etwa
bis auf die halbe Wade reichte: Schuhe und Strümpfe waren an-
scheinend unbekannte Luxusgegenstände. Als der Fürst den Leuten
sagte, wer ich sei, nahmen die Bauern, sich tief verneigend, ihre
Mützen ab. Die Frauen, soweit sie Kinder auf den Armen oder
an der Brust hatten, traten an den Schlitten heran und reichten
mir die Kleinen, damit ich sie streichle. Im Hintergrunde vergnügte
sich indessen die Dorfjugend mit Herabrutschen von Schneehügeln,
wobei ich manch kleines Geschöpf sah, das nur mit einem HOemd-
chen bekleidet war und das Rutschen mit dem blanken Körper be-
sorgte, so wie unsere Kinder es im Sommer auf den Sandhügeln
an der See tun. Als ich mein Erstaunen über diesen Grad von
Abhärtung aussprach, erwiderte der Fürst: „Alles Schwache, was
dieses Leben nicht verträgt, geht ein. Wer durchkommt, ist derart
abgehärtet, daß er alles vertragen kann.“
Abends trafen wir in Nadziwillmonte ein, wo uns ein behag-
lich gewärmtes Quartier aufnahm. Erst am Nachmittag des nächsten
308