$ 134. Die Formen der Kompetenz-Kompetenz etc. 185
wirkung der Einzelstaaten als solcher, insbesondere auch nicht eine
Mitwirkung ihrer Legislaturen oder Bürgerschaften. Denn in keiner
Form darf die Geltungskraft und Wirksamkeit der Reichsgesetzgebung
von irgend einer anderen Bedingung abhängig gemacht werden, als
die Reichsverfassung selbst anordnet.
Nichtig ist daher jeder Anspruch der Einzellegislaturen auf ein
Recht nachträglicher Zustimmung zu irgend einem Akte der
Reichsgesetzgebung, insbesondere zu Verfassungs- und Kompetenz-
änderungen. Nicht minder ist dies jedes Landesgesetz, welches die
Abgabe der Stimme des Einzelstaates im Bundesrate an die vor-
gängige Genehmigung des Landtages binden will, um dadurch irgend-
wie die rechtliche Gültigkeit des Reichsgesetzes zu bedingen, sei es
überhaupt, sei es für denjenigen Einzelstaat, dessen Landtag dissen-
tiert oder nicht gehört wurde. Ja, es muls ein Landesgesetz als ver-
fassungswidrig und nichtig gelten, welches feststellt, dafs der Fall der
ministeriellen Verantwortlichkeit dann ohne weiteres eintritt, wenn die
Stimme des Einzelstaates für irgend eine allgemeine, auch kompetenz-
erweiternde Verfassungsänderung ohne vorgängige Genehmigung des
Landtages abgegeben wird. Denn da die rechtliche Zulässigkeit eines
solchen Landesgesetzes, wenn für irgend einen, für alle Einzelstaaten
zugegeben werden mülste, so würde daraus die rechtliche Möglichkeit
folgen, die Reichsgesetzgebung zwar nicht in ihrer formellen Gültigkeit,
aber ihrem‘ thatsächlichen und dem beabsichtigten Erfolge nach
von einer Mitwirkung der Einzellegislaturen abhängig zu machen.
Gerade diese Rechtslage weist für die Reichsverfassung schon
formell — ganz abgesehen von ihrem Inhalte — jeden Gedanken
zurück, als ob dieselbe auch nur mit ihren Kompetenzbestimmungen
in irgend einem Sinne als formeller Bestandteil auch der Verfassungen
der Einzelstaaten angesehen werden könnte. Er mülste sich, wenn
er nicht der Behelf willkürlicher Konstruktionen sein will, durch
irgend welche Mitwirkungsrechte der Einzelstaaten bei Verfassungs-
änderungen positivrechtlich bewähren.
I. Durch die komplizierten Formen der frenıden Bundesver-
fassungen für Verfassungsänderungen wird es ohne weiteres bewirkt,
dafs jedes die Verfassung ändernde oder ergänzende Gesetz auch als
Verfassungstext erscheint und eine äulserliche Vermischung mit
der einfachen Gesetzgebung unmöglich ist.
Die Formen der Änderung der Reichsverfassung dagegen, die sich
nur in einem Abstimmungsmodus des Bundesrates besonders charakteri-
sieren, lassen die Möglichkeit zu, dafs ein Gesetz, welches inhaltlich
Verfassungsgesetz ist, sich textuell als solches nicht bekundet und mit
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. 1. 90