her reichte mir sein Leibjäger einen aufgespannten Schirm, den ich
dann während der ganzen Fahrt über den Schlafenden hielt. Beim
Einsteigen in die Eisenbahn schlug uns furchtbare Hitze entgegen, da
der Zug tagelang in der brennenden Sonne gestanden hatte. Auf
dem Bahnhof in Salzburg wurde meinem Großvater das Aussteigen
bereits recht schwer; er hatte trotzdem für feden der erschienenen
österreichischen höheren Beamten und die österreichischen Damen, die
ihm Blumen überreichten, ein gütiges Wort. In dem Hotel gegen-
über dem Bahnhof mußte eine recht steile Treppe erstiegen werden,
wobei auf Leutholds Wink ein Leibjäger den Kaiser stützte. Sehr
zum Kummer des besorgten Arztes überreichte die Hofschauspielerin
Frau Kahle-Keßler meinem Großvater noch einen Blumenstrauß,
was diesen zu einer Konversation veranlaßte, während ihn zahlreiche
Hotelgäste umdrängten. Schließlich standen auf dem obersten Treppen-
absatz auch noch die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar und
deren Tochter, Brinzeß Marie Reuß, mit denen sich mein Großvater
wiederum noch ein Weilchen unterhielt, bis Leuthold ihn endlich mit
dem Leibjäger in sein Schlafzimmer brachte. Während wir noch be-
sorgt im Vorzimmer warteten, erschien Leuthold ernsten Gesichts wieder
mit der Meldung, mein Großvater habe einen schweren Ohnmachts-
anfall erlitten.
Unsere Stimmung war, wie begreiflich, sehr gedrückt. Da die
Erholung des Kaisers sehr langsame Vortschritte machte, beschlossen
General v. Albedyll und ich, die Nacht über Wache zu halten. Wir
nahmen auf einer Bank am Rande der Anlagen, dem GFenster meines
Großvaters gegenüber Platz, und haben dort bei herrlichem Mond-
schein den größten Teil der lauen Sommernach zugebracht. Wir haben
lange Gespräche miteinander geführt und vieles aus der Vergangen-
heit an unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen, wobei wir uns
gründlich aussprachen, in diesen Stunden haben wir auch unsere
Differenz im Unionklub-Kampf beglichen und uns wieder ausgesöhnt.
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