Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Besuch zu Wagen bei den in einem großen Lager zusammengezogenen 
Truppen statt. Auf dem Wege dorthin wurden die Mafestäten von 
den mit Befestigungsarbeiten beschäftigten Mannschaften, die Salz 
und Brot überreichten, mit großem Jubel begrüßt. Bei der Ab- 
fahrt liefen Hunderte von Offizteren, die Mützen schwenkend und 
Hurra rufend, hinter dem Wagen her, was das Zarenpaar sichtlich 
erfreute. Bon dem Nachmittagstee, der im Kreise der engeren Kaiser- 
lichen Familie eingenommen wurde, ist mir noch in Erinnerung, daß 
es der großen Hitge wegen saure Milch gab. Da sie ein Gericht 
war, das Professor v. Lepden dem Zaren als Mittel gegen Arterto- 
sklerose verordnet hatte, genoß Kaiser Alexander sie in Mengen, 
die anderen Sterblichen zweifellos Unzuträglichkeiten bereitet hätten. 
Abends fand zu Ehren des Namenstages des Zaren ein großer 
Zapfenstreich statt, währenddessen sämtliche Festungsgeschüctze donnerten. 
In der Zwischenzeit fand ich Gelegenheit, bei Unterhaltungen 
unter vier Augen dem Jaren meinen Auftrag auszurichten. Seine 
schließliche Antwort lautete: Wenn er Stambul haben wolle, werde 
er es sich nehmen, wann es ihm gefalle, der Erlaubnis oder Zu- 
stimmung des Fürsten Bismarck bedürfe er dazu nicht. Doch erklärte 
er, an dem Dreikafserbündnis festhalten und damit den europätschen 
Frieden wetterhin wahren zu wollen, trug mir auch herzliche Grüße 
an meinen Großvater auf, überhaupt zeigte er sich persönlich sehr 
freundlich. Die politischen Beobachtungen sowie die allgemeine 
Stimmung gegenüber Deutschland habe ich schon in meinem ersten 
Buche niedergelegt. Ich verließ Brest-Litowse mit zwei Antworten 
auf Fürst Bismarcks Angebot, einer des Zaren: „Ich brauche des 
Fürsten Erlaubnis nicht“, und der der Festung: „Wir sind bereit!“ 
Welch ein Umschwung gegen die Stimmung in Moskau im Jahre 18841! 
Am Morgen des 12. September beglekiteten der Zar, die Zarin, 
der Thronfolger sowie die Großfürsten Georg und Wladimir mich 
zum Bahnhof, wo sie sich in der herzlichsten Weise von mir verab- 
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