Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

Bald nach seiner Ankunft hielt mein Vater eine Kronratssitzung 
ab, bei der die Minister vereidigt wurden. Die Herren waren 
durch das furchtbar veränderte Aussehen des Kaisers, den sie länger 
als ein Jahr nicht gesehen hatten, tief erschüttert. Da mein Vater 
nicht mehr sprechen konnte, stellte er Fragen und erteilte Befehle auf 
kleinen Zetteln, Fragen wurden mit Kopfnicken oder -schütteln be- 
antwortet, seine geistige Frische war ungebrochen und völlig die alte. 
Mir ist aus jener Sitzung noch in Erinnerung, daß Finanzminister 
Scholz über die Prägung neuer Münzen mit dem Bildnis des nun- 
mehrigen Kaisers Vortrag hielt, und daß mein Bater auf die Mit- 
teilung von Scholz, die Ausprägung würde ungefähr zwei Monate 
dauern, eine Bewegung mit den Händen machte, die deutlich sagte: 
das erlebe ich nicht mehr! Seine Ahnung hat ihn nicht getrogen, 
und ich habe es nach seinem Tode für einen Akt der Pietät gehalten, 
möglichst viele Münzen mit dem Bildnis meines Baters herstellen 
zu lassen. 
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Am ersten Sonntag, an dem wir Kinder zum Gottesdienst in 
der Schloßkapelle nach Charlottenburg kamen, zeigte mir mein Vater 
die in seinem Borzimmer aufgestellten Grundrisse und Pläne für den 
von ihm geplanten Neubau des Domes zu Berlin. Der Geheime 
Baurat Raschdorff hatte, wie mein Bater mir mitteilte, diese Enk- 
würfe in fahrelanger Arbeit nach vielen Konferenzen mit ihm und 
meiner Mutter fertiggestellt. Meine Eltern hätten auf ihren ita- 
lienischen Reisen ständig alle Kuppelbauten studkert, die vorliegenden 
Pläne seien das Ergebnis dieser Studien. Er selbst werde die Fertig- 
stellung nicht mehr erleben und lege mir deshalb die Pflicht auf, 
wenn er nicht mehr sei, die Ausführung des Dombaus als sein Ver- 
mächtnis durchzuführen. 
In Anbetracht des schwer leidenden Zustandes meines Vaters 
erhielt ich von neuem eine Stellvertretungsorder für die Unter- 
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