Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
IV. Buch. Das Heerwesen. 5 
  
Das waren unhaltbare Zustände. Es wurde daher eine Heeresverstärkung um rund 
80 000 Mann geplant, die im Frühjahr 1890 eingebracht werden sollte. Fürst Bismarck 
erklärte sich bereit, eine solche Borlage vor dem Reichstage zu vertreten und auch durchzu- 
setzen. Einige Anderungen wurden schon vorher vorgenommen. Aus überschießenden 
Truppenteilen wurden das 16. und 17. Korps gebildet; die Feldartillerie wurde nach 
Aufhebung der Generalinspektion den Generalkommandos unterstellt; aus den 4 Eisen- 
bahnbataillonen wurde eine Brigade zu zwei Regimentern gebildet. Die Artillerieschieß- 
schule wurde in Feld- und Fußartillerie-Schießschule getrennt; zwei Kavallerieinspektionen 
wurden errichtet. 
Mittlerweile hatte sich jedoch zwischen dem Kaiser und dem Reichskanzler ein 
tiefgehender Gegensatz gebildet, der dazu führte, daß Bismarck am 18. März seine Ent- 
lassung einreichte und gleich darauf Berlin verließ. Sein Nachfolger General v. Caprivi 
glaubte bei der bestehenden Zusammensetzung des Reichstages die geplante Militär- 
vorlage nicht durchbringen zu können. Sie wurde daher auf das Wesentlichste beschränkt 
und schmolz auf eine Verstärkung des Heeres um 18 574 Mann zusammen. Nach dem 
Gesetz vom 15. Juli sollte die Armee bis zum Ende des bestehenden Septennats 
(51. März 1894) an Unteroffizieren und Mannschaften ohne Einjährig-Freiwillige, Lehr- 
und Versuchstruppen 468 983 Mann zählen und aus 538 Bataillonen Infanterie, 465 
Eskadrons, 434 Batterien, 31 Fußartillerie-, 20 Pionier--, 5 Eisenbahn- und 21 Train- 
Bataillonen bestehen. 
Damit war der ursprüngliche Zweck der Vorlage natürlich nicht erfüllt, und bald 
gestaltete sich auch die politische Lage derart, daß eine weitere Verstärkung der Armee 
im Interesse der Landesverteidigung unbedingt notwendig erschien. 
Heeresvorlage 1892. “* — de den Gal eine 
e en Angriffs gegen uns dessen Ne 
Zweijahrige Hienstzeit. sicherte, war 1890 abgelaufen. Er wurde von deut- 
scher Seite nicht erneuert. Das erregte in Rußland, mit dem bereits starke Span- 
nungen eingetreten waren, ein tiefes Mißtrauen gegen die deutsche Politik und 
machte den Weg für ein russisch -französisches Bündnis frei. Die porlitische 
Annäherung beider Staaten fand denn auch sehr bald statt. Im Juli 1891 traf ein 
französisches Geschwader in Kronstadt ein und wurde dort überschwenglich gefeiert, 
und im Herbst 1892 wurde der Abschluß eines russisch - französischen Vertrages be- 
kannt. Damit ergab sich die Möglichkeit eines Krieges nach zwei Fronten, 
die eine wesentlich verstärkte Rüstung zur unbedingten Notwendigkeit machte. Doch 
glaubte die Regierung eine solche unter Beibehalt der dreijährigen Dienstzeit beim Reichs- 
tage nicht durchsetzen zu können; es wurde daher unter dem Zwange der Verhältnisse 
der Übergang zur zweijährigen Dienstzeit wenigstens für Fußtruppen und Feldartillerie 
beschlossem. Dafür sollte die Friedenspräsenzstärke um mehr als 80 000 Mann, d. h. 
auf 492 000 Gemeine erhöht, die Artillerie wesentlich vermehrt werden und auch für 
die Kavallerie, die Pioniere und die Berkehrstruppen waren einige Verstärkungen vor- 
gesehen. Kadettenkorps, Unteroffizier- und Unteroffiziervorschulen sollten erweitert, die 
  
  
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