VI. Buch. Wirtschafts--, Sozial- und Finanzpolitik. 5
ziell unter Wilhelm J. und Bismarck gelegten Grundlagen darstellt, ist hier in der Schaf-
fung der Kriegsmarine und in der Begründung eines, wenn auch immer gegen den an-
derer Länder lleinen Kolonialbesitzes auch eine neue und originale Leistung gelungen,
welche den besonderen Ruhm dieses jüngsten Zeitalters deutscher Geschichte bildet.
Oiese politischen Taten, welche zugleich von größter volkswirtschaftlicher und welt-
wirtschaftlicher Tragweite sind, haben durch sich selbst auch den besten Beweis dafür ge-
liefert, daß erst durch die Ereignisse von 1866 und 1870 Deutschland, und selbst das um die
österreichischen Gebiete verkleinerte Deutschland, dem deutschen Volk und der deutschen
Volkswirtschaft die gebührende Stellung in der Welt verschaffen konnte. So konnte
wenigstens im letzten Moment, wo es möglich war, den ausgeschlossenen und verspäteten
Deutschen neben anderen Europäern ein Platz und Betätigungsspielraum auf unserer
Erde verschafft werden. Damit hat sich der Weg durch Blut und Eisen, auf dem die neue
deutsche Einheit, die Trennung von Osterreich, so vielfach gegen Wunsch und Willen an-
derer Deutscher erreicht worden ist, auch als der richtige und notwendige erwiesen, um
zur politischen und wirtschaftlichen Stellung des deutschen Volkes in der Gegenwart
zu gelangen.
Nur durch die Hervorhebung und Charakterisierung einiger einzelner Hauptpunkte
der Entwicklung der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpoltik in Preußen und im ganzen
Keich im letzten Vierteljahrhundert mag das Gesagte hier belegt und begründet werden.
Für das Einzelne ist auf die einschlägigen Abschnitte dieses Werks aus anderen Federn
zu verweisen.
Der Charakter der allgemeinen Wirt-
schaftspolitik eines Landes erhält seinen
prägnantesten Ausdruck einmal durch die Agrarverfassung und Agrarpolitik, sodann durch
die innere Gewerbe- und Handelsverfassung und politik und durch die äußere Handels-
politik. Agrarverfassung und Agrarpolitik sind auch im neuen Deutschen Reich ja wesent-
lich Angelegenheiten der Einzelstaaten geblieben, nur daß die Gesetzgebung des Reichs
Über Staats- und Reichsbürgerrecht, Niederlassungsrecht, Zugrecht als Freizügigkeit,
Wanderrecht und Reiserecht, Eheschließungsrecht, Aus- und Einwanderungerecht, Unter-
stützungswohnsitz, ehrdienstpflicht auch in die Agrarverhältnisse bedeutsam eingreift.
Das großenteils bereits in Preußen bestehende „freiheitlich“ ausgestaltete Spezialrecht in
den genannten besonderen Rechtsgebieten war in die Reichsverfassung bereits überge-
gangen und schon in der Periode vor 1888, soweit notwendig, in derselben Richtung noch
weiter ausgebildet worden. Die Agrarverfassung speziell hatte in Preußen ihren im
ganzen freiheitlich-individualistischen Charakter in die Reichszeit mit herübergenommen, so
den Grundsatz der freien Teilbarkeit und Zusammenlegbarkeit des ländlichen Besitzes in
Kauf und Verkauf und im Erbgang, des freien Absatzes und Marktverkehrs und der freien
vertragsmäßigen Preisbildung für Agrarprodukte, des freien Pachtrechtes und Mietrechtes
und des freien Verschuldungsrechts. Aber provinzial- und bezirksweise waren doch auch
Ausnahmen von dieser Gestaltung des Agrarrechts geblieben, die auch mit der Ein-
führung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht verschwanden, so einzelne Provinzialsysteme
Agrarverfassung und Agrarpolitik.
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