Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
IX. Buch. Oie technischen Hochschulen. 15 
  
zerfallen in zwei Teilprüfungen, die inmitten und am Ende des drei- bis vierjährigen 
Studiums abgelegt werden, während die entsprechenden Teile der Staatsprüfung 
noch durch dreijährige Praxis ergänzt werden müssen, bevor die Hauptstaatsprüfung ab- 
gelegt werden kann. 
Aber so sehr das Erreichte die Wünsche derer be- 
friedigte, die am Aufbau mitgewirkt hatten — 
Eines blieb noch aus: In den der Technik fernerstehenden Kreisen fehlte es an innerer 
Anerkennung des zußeren Fortschrittes. Die Arbeit des Technikers, wie die exakte 
Forschung überhaupt, so groß ihre Erfolge waren, in der deutschen Gesellschaft blieb sie 
geringer bewertet; ist doch zum Beispiel noch heute in den Ersten Kammern einiger 
deutscher Landtage wohl nach überliefertem Rechte die Wissenschaft der Universitäten 
ständig vertreten, nicht aber die Technik. 
Wie oft auch klar schauende Geister auf eine neue, der gegenwärtigen Kultur gerecht 
werdende Anschauungsweise hingewirkt hatten — so mächtig und nachhaltig hat nichts 
den stumpfen Widerstand der Welt zurückgedrängt, als die Haltung des Kaisers. Seinem 
wiederholten persönlichen Eintreten, seinen gelegentlichen Anregungen wie nachdrück- 
lichen Mahnungen ist es nicht allein zu danken, daß die auf moderner Grundlage ruhende 
Bildung in unserem höheren Schulwesen mehr und mehr als gleichberechtigt mit der aus 
der Antike hervorgewachsenen anerkannt wurde, sondern daß sich auch das Bewußtsein 
verbreitete, ezakte Forschung und technisches Schaffen seien in ihrer menschlichen, wie 
in ihrer nationalen Bedeutung den höchsten geistigen Leistungen gleichzuwerten und 
hätten Anspruch auf dieselben akademischen Rechte. 
Dazu kommt die alte Hohenzollernüberlieferung, wie sie sich seit der Zeit des großen 
Kurfürsten in manchen von ihrer Zeit nicht verstandenen und wieder verlassenen Ver- 
suchen kundgibt, nämlich das Bestreben, den in der wirtschaftlichen Entwickelung 
liegenden Kulturwert auch für Wissenschaft und Bildung auszubeuten und seine Ver- 
tretung in den Akademien zu sichern. 
Für diese weitschauenden Gedanken fand Kaiser Wilhelm ll. einen schlagenden 
Ausdruck in der Verleihung akademischer Grade, nämlich des Diplom-Inge- 
nieurs und des Doktor-Ingenieurs an die technischen Hochschulen. 
Mangelnde Anerkennung. 
  
Verleihung akademischer Grade. Während des letzten Jahrzehnts des vorigen 
. Jahrhunderts war es besonders in den chemi- 
Berliner Jahrhundertfeier 1899. schen Abtellungen der technischen Hochschulen 
als beengend und unbillig empfunden worden, daß die größeren wissenschaftlichen Arbei- 
ten, die aus den Laboratorien der technischen Hochschulen hervorgingen, nur von den 
Universitäten als promotionswürdig anerkannt werden durften, obschon über die fach- 
liche Gleichstellung der Laboratorien wie ihrer Leiter nirgends ein Zweifel bestand. So 
waren die Studierenden der Chemie, die an einer technischen Hochschule ihre Studien 
mit einer Doktorarbeit abgeschlossen hatten, doch gezwungen, sich noch an eine Universi- 
tät zu wenden, um für jene Arbeit den Doktortitel zu erlangen, und die chemische Ab- 
  
  
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