154 Die staatswissenschaftliche Theorie der Griechen
Staate, in dem reinen Leben für sich erreicht; jede Herrschaft
sei eine Despolie, und die Herrscherlosigkeit das Beste.
Wer diese Richtung in der griechischen Staatsphilosophie
vertreten hat, das wissen wir nicht. Allein es scheint, als ob
das jedenfalls nicht die Meinung eines. Einzelnen gewesen. Ari-
stoteles führt dieselbe im siebenten Buch Cap. II. 1. in folgender
Weise auf:
„In Betreff der beiden Parteien (auporegoı avroi), von denen
nämlich die Einen alle politische Thätigkeit in Staatsämtern
verwerfen, indem sie meinen, dasLeben eines freien Man-
nes sei von dem politischen ganz verschieden (709 de Tod &lev-
gEgov PBiov Eregov rwa elvar Tod nroAttixod) und das von allem
wünschenswertheste, während die Anderen dies von dem letz-
teren aussagen, denn es sei unmöglich dass Einer der nichts
thue, sich wohlbefinden könne, Wohlbefinden aber mit der Glück-
seligkeit (zUdauuovie) identisch sei, haben wir zu sagen, dass
sie in gewisser Weise beide Recht haben. Die ersteren darin,
dass das Leben eines freien Mannes besser ist als das eines
despolischen Herrschers. —- — (?2.) Wenn sie indess jede Herr-
schaft für Despolie halten (70 uevros vouisew naoav aoynv
eivaı deonorstav), so ist das unrichtig“ — u. s. w.
Man sieht hieraus, dass die Grundlage dieser Auffassung
eigenllich nicht der Begriff oder Gegensatz von Freiheit und
Unfreiheit war, sondern vielmehr die Lehre von der Glückselig-
keit, die Eudaimonie, deren Zweck nicht die Verwirklichung der
Selbstbestimmung, sondern die des harmonischen Daseins ist.
Wie weil nun die Vertreter dieser Ansicht mit dem folgenden
zusammenhängen, wagen wir nicht zu beslimmen. In jedem
Falle muss die Zahl weder bedeutend, noch auch die Ansicht
selbst philosophisch in Beziehung auf Staat und Recht ausge-
bildet gewesen sein, da wir weiter keine Spur derselben gefun-
den haben. Wie sich aber ihr Enistehen erklärt, glauben wir
angedeutet zu haben.
Diejenigen nun, die wir jelzt aufführen, bilden natürlich im
Grossen und Ganzen die Gesammtheit der zweiten jener Parteien,
von denen, Aristoteles oben redet, das ist diejenigen, welche die
Bethätigung der menschlichen Kräfte am Staatsleben für eine