Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

Studien über württembergische Agrarverhältnisse, 439 
Ausnahmen zwischen 5 und 12 Prozent !). Ich sage nicht, dass 
der Grund dieser Verschiedenheit allein in den Güterverhältnissen 
liegt; der ernste, religiöse Sinn sehr vieler altwürttembergischer 
Distrikte hat gewiss auch seinen Theil an dieser Erscheinung. 
Nur das wird man zugeben müssen, dass das Agrarsystem sehr 
bedeutend mitwirkt. 
Daraus aber, dass das System der Freiheit im Allgemeinen 
diese günstigen Erscheinungen ‘gegenüber von’ dem System der 
Beschränkungen an den Tag legt, folgt noch nicht, dass es unter 
allen Umständen und unbedingt günstig wirkt. Die Erfahrung 
lehrt vielmehr, dass, wenn bei dem System der objektiv und sub- 
jektiv grössten Freiheit die Gränze der Ernährungsmöglichkeit 
für eine Bevölkerung erreicht ist und nun Mangel und Elend in 
viele Familien einzieht, dann auch die Unsiltlichkeit in geschlecht- 
lichen Verhältnissen sehr ‚leicht einreisst und überhand nimmt. 
Den Beweis hiefür liefern viele altwürttembergische Gemeinden, 
wo die Zahl der unehelichen Geburten gleichfalls auf gegen 
zwanzig Prozente steigt, und wenn man an der Hand der offiziellen 
Oberamisbeschreibungen die ökonomische Lage solcher Gemein- 
den vergleicht, so überzeugt man sich, dass diess häufig gerade 
solche Orte ?) sind, welche ökonomisch am tiefsten stehen. 
Daraus sieht man, dass in dem weit geiriebenen und miss- 
brauchten Freiheitssystem dieselbe Gefahr für die siltlichen Zu- 
stände liegt, wie in dem entgegengeseizten, und es findet auch 
diese Thatsache ihre einfache Erklärung, wenn man sich ver- 
gegenwärligi, wie moralische Schlaffheit, verzweifelnder Leicht- 
sinn, üppige Lust und thörichte Gewinnsucht die regelmässigen 
Begleiter tiefgesunkener wirthschafllicher „Verhältnisse und zu- 
gleich die gewöhnliche Veranlassung zur Unsittlichkeit sind. Wie 
dringend aber die Gefahr für jede Gemeinde ist, wo keine ge- 
1) Das beste Oberamt ist’in dieser Beziehung Canstatt mit 5,° Proc. 
uneheliche Geburten. Es folgt nach dem Stand des Jahres 1849-50 Stutt- 
gart [Stadt] und Leonberg mit 8,2, Urach mit 8,? Proc. Am meisten unehe- 
liche Geburten haben Tettnang und Krailsheim mit 19,* Proc. 
2) Beispielsweise gehören die beiden Gemeinden des Amtes Schorn- 
dorf, welche am meisten uneheliche Kinder haben, Baltmannsweiler (19,3), 
Baiereck (15,6 Proc.) auch unter die ärmsten; siehe oben $. 237. 
Zeitschr. für Staatsw. 1853. 3s Heft. 29
	        
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