550 ‚Völkerrechtliche Lelıre
Bei der Mitwirkung zur Verhinderung oder Bestrafung von
Privatverbrechen, welche gegen eine fremde Rechtsordnung be-
gangen worden sind, bedarf es bedeutender Abweichungen von
dem kosmopolitischen Systeme nicht. Ohne Besorgniss wesent-
licher Nachtheile kann der Staat die zur Verhütung von Rechts-
verletzungen überhaupt bestehenden Anstalten auch auf sie aus-
dehnen; und kann er im Falle eines dennoch eingelretenen
Vergehens gegen die einheimischen Thäter nach Vorschrift der
gewöhnlichen Gesetze verfahren, Ausländer aber in den dazu
geeigneten Fällen ausliefern. Auch in den Einzelnheiten der
Ausführung sind keine bedeutenderen Schwierigkeiten zu über-
winden. Es bedarf hier lediglich der Vorsicht, dass sich der
um Auslieferung angegangene Staat jedesmal genau überzeuge,
ob auch wirklich ein Privatverbrechen vorliegt, und er nicht etwa
unter dem Vorgeben eines solchen zu Mitwirkung gegen Staats-
verbrechen missbraucht werden will. Er hat also nicht nur die
nöthigen Nachweise über die in Frage slehende Thatsache und
über die erhobene oder beabsichtigte Anklage zu verlangen;
sondern es ist auch ganz zweckmässig, wenn er entweder durch
eine allgemeine vertragsmässige Bestimmung oder durch eine
besondere Erklärung im einzelnen Falle sich die Gewissheit ver-
schafft, dass ein von ihm Ausgelieferter einzig und allein wegen
der in dem Auslieferungsansinnen bezeichneten und _ diesseits
anerkannten Vergehen in Untersuchung und Strafe genommen
wird. Zur Vermeidung von Streit darüber aber, was als Privat-
verbrechen und was als Verletzung des öffentlichen Rechtes zu
betrachten sei, wird passend im Wege des Vertrages eine Auf-
zählung und Eintheilung festgestellt werden.
Was dagegen nun die Verfehlungen gegen das öffentliche
Recht anderer Staaten betrifft, so ist allerdings im Vorstehenden
die grosse und überwiegende Unzuträglichkeit einer vollen An-
wendung des kosmopolitischen Systemes auf dieselben nachge-
wiesen. Es muss also versucht werden, durch eine Beschränkung
der Rechtshülfe in dieser Richtung ein verständiges und erträg-
liches Maass zu finden; und die Frage ist nur, wie weit in der
Weigerung gegangen werden soll und darf?