580 Völkerrechtliche Lehre
a) Bestrafung der Staatsangehörigen wegen der
im Auslande begangenen Verbrechen.
Die positiven, gegenwärtig bestehenden Bestimmungen hin-
sichtlich dieses Falles bilden (wie oben, S. 471 das Nähere an-
gegeben ist) nicht weniger als vier Gruppen. Nach der einen
Auffassung werden sie gar nicht bestraft; nach einer zweiten
allerdings und unbedingt; nach einer dritten unter gewissen Be-
dingungen, namentlich der Gegenseitigkeit; nach einer vierten
nur bei einzelnen bestimmten Arten von Verbrechen. — Die im
Vorstehenden als die richtige angenommene mittlere Theorie aber
enthält (s. Seite 547 fg.) nachstehende Sätze: Der Staat gewährt
jeder fremden Rechtsordnung in so ferne Schutz, als er die von
eigenen Unterthanen gegen sie begangenen Verbrechen bestraft,
gleichgültig, ob dieselben im eigenen Gebiete oder, unentdeckt, im
fremden Lande begangen wurden; gleichgültig ferner, ob sie
Privat- oder öffentliche Rechte verletzten und zwar bestraft
nach eigenem Verfahren und nach eigenem Gesetze, auch ohne
Aufforderung des Verletzten, und selbst bei Verweigerung der
Gegenseitigkeit. Hiervon machen nur ganz untergeordnete Ver-
gehen und die Fahnenflüchtigkeit eine Ausnahme. — Es fällt
also die Theorie vollkommen zusammen mit dem positiven Rechte
der zweiten Gruppe, d. h. Oesterreichs, Preussens, Bayerns und
Sachsens, indem in diesen Staaten der Unterschied zwischen
eigentlichen Rechtsverletzungen und unbedeutenden Vergehen
ebenfalls gemacht ist. Nur geringe Abweichungen finden statt,
zwischen der Theorie und den Gesetzgebungen der drilten und
der vierten Gruppe, indem jene den Grundsatz zugibt und nur
einige Bedingungen beifügt, diese aber zwar den Grundsatz als
solchen zurückweist, allein durch zahlreiche Aufzählungen ein-
zelner zu bestrafender Handlungen im Erfolge beinahe Gleiches
leistet. Dagegen befolgt die erste Gruppe vollständig entgegen-
sieht sich im Gegentheile jetzt im Stande, seine Gesetze durch seine Gerichte
in Anwendung zu bringen. Der einzige Punkt, in welchem die Bestrafung
eines Ausländers mit der Lehre von der internationalen Rechtsbeihülfe in
Verbindung steht, ist der etwaige Anspruch auf Auslieferung eines solchen
'Verbrechers. Dieser Fall wird aber bei der Asylfrage erörtert.