Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

612 Ueber Begriff und Wesen 
den werden. Sie soll nicht bei dem stehen bleiben, was von 
Seite der Staatsgewalt geschieht, sondern sie hat bei Allem zu 
erforschen, warum es geschieht und ob es nach der noth- 
wendigen Vernunftbestimmung des Staates geschehen darf 
oder soll. Sie muss aus dieser höchsten Bestimmung des Staa- 
tes die einzelnen Zwecke ableiten, denen die Haupizweige der 
Regierung entsprechen -und in jedem derselben die sämmtlichen 
einzelnen Maassregeln mit dem anerkannten Zwecke in Zusam- 
menhang bringen. Es darf hiebei nicht eine blosse undeutliche 
Vorstellung des Nützlichen oder Angemessenen entscheiden, man 
darf sich nicht mit dem höchst schwankenden Begriff der allge- 
meinen Wohlfahrt (salus publica) oder der Glückseligkeit der 
Bürger begnügen, sondern muss kenntliche Gränzen der Staats- 
thätigkeit ziehen. Diese Gränzen werden freilich nur in An- 
sehung der Zwecke allgemein angegeben werden können, denn 
was die Mittel betrifft, so geht die Staatsthätigkeit bekanntlich 
mehr oder weniger weit, je nachdem ihre Einwirkung durch die 
einzelnen Bürger oder die Privatvereine weniger oder mehr eni- 
behrlich gemacht wird. Der Staat greift nur da ein, wo es Be- 
dürfniss ist, wo die Privatbestrebungen für einen zum Wohl des 
Ganzen gehörenden Erfolg unzulänglich sind, und diess ist unter 
verschiedenen Umständen der Zeit und des Raumes nicht in glei- 
cher Weise der Fall. In der Beförderung eines Gewerbszweiges, 
in der Armenversorgung und dgl. wird in neuerer Zeit durch 
freie Privatvereine der Slaatsgewalt manche Mühe abgenommen; 
dagegen kommen auch im Fortgang der gesellschaftlichen Ent- 
wicklung manche neue Uebelstände zum Vorschein, manche Miss- 
verhältnisse waren auch schon vorhanden und werden nur spä- 
terhin erst deutlicher erkannt. 
Die Staatswissenschaft, von welcher die Polizeiwissenschaft 
ein Theil ist, kann demnach nicht bei dem in der Ausübung her- 
kömmlichen Umfang der Polizei stehen bleiben, wie es etwa die 
Kameralwissenschaft im vorigen Jahrhundert that; sie soll nicht 
blos beschreiben, sondern überblicken und ordnen, und es ist 
ihr die Befugniss nicht abzusprechen, zu trennen, wo sie Un- 
gleichartiges beisammen findet. Diesen Grundsatz erkannte auch 
R. von Mohl an, als er in seinem vortrefflichen Werke „die
	        
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