Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Ab= und Anmärsche, Seitenbewegungen und Gefechts- 
entwickelungen die Kilometerzahl fast auf das Doppelte. 
Der Kampfwert der sächsischen wie aller deutschen 
Waffen war auf den fast täglichen Gefechtsfeldern seit 
Dinant glänzend erwiesen worden. Die Infanterie und 
Kavallerie hatten sich als unbedingt an persönlichem Schneid 
und Gediegenheit der kriegerischen Ausbildung den Fran- 
zosen überlegen gezeigt, ebenso die Feldartillerie bezüglich 
der taktischen Massenverwendung in der Schlacht und der 
Ausbildung des Menschen= und Pferdematerials. 
Anders stand es bezüglich des Geschützmaterials. Bei 
Dinant hatte der Gegner auf Durchführung eines Massen- 
artilleriekampfes von vornherein verzichtet. Eine Wertprobe 
zwischen dem französischen und dem deutschen Feldgeschütz 
war unterblieben. Erst bei den täglichen Nachhutkämpfen 
von der Maas bis zur Marne trat die viel größere Lei- 
stungsfähigkeit des französischen Materials — Geschütz und 
Geschoß — voll in die Erscheinung. Die französische Feld- 
artillerie mit 12000m Hoöchsischußweite führte den Kampf 
grundsälzlich auf Entfernungen, auf denen das deutsche 
Geschütz mit seiner Höchstschußweite von 7500 m und dem 
Schrapnellfeuer bis auf Jooom noch nicht wirken konnte. 
Erreichte die deutsche Artillerie diese ihr möglichen Kampf- 
abstände, dann brach die französische Feldartillerie sehr ge- 
schickt den Kampf ab, um ihn alsbald unter den ihr vorteil- 
hafteren Bedingungen weiler rückwärts wieder aufzunehmen. 
Das wurde deutscherseits sofort erkannt und durch um so 
entschiedeneren Angriffsdrang der Infanterie überwunden. 
Aber unverhältnismäßig hohe Verluste, die sonst bei der 
überlegenen Ausbildung in der Geländeausnutzung zweifel- 
los vermieden worden wären, mußten in Kauf genommen 
werden. Daß darunter nicht der Schwung der Infanterie 
litt, gereicht ihr zu ganz besonderer Ehre. 
Für den beschleunigten Vormarsch hatte das Ausladen 
und Heranziehen aller Verpflegungskolonnen nicht abgewar- 
tet werden können. In der Folgezeit trat in dem armen, 
von der deutschen Heereskavallerie bereits voll ausgenutzten 
Maas= und Ardennengebiet schon sehr bald Mangel an 
Hafer ein. Der schnelle Vormarsch auf den mit Truppen- 
massen weithin bedeckten Straßen ließ Brot= und Fleisch- 
nachfuhr nicht zu. Die Truppen hielten sich an das zahl- 
reiche Weidevieh. Im übrigen behalf sich der anspruchs- 
lose sächsische Soldat in nie getrübtem Frohsinn mit dem, 
was sich vorfand. Aber die Pferde litten bereits Ende Au- 
gust an beängstigendem Kräfteverfall. Es bedurfte der 
rücksichtslosesten Energie von Führung und Truppe, um 
das Höchstmaß der Leistungen, das die Kriegslage ver- 
langte, zu erzwingen. Und doch stand noch Schwereres 
den 3 sächsischen Armeekorps unmittelbar bevor. 
Das ließ allerdings der 10 Uhr abends eintreffende, 
7,45 Uhr abends ausgefertigte Drahtbefehl der Obersten 
Heeresleitung noch nicht ermessen. Darnach sollten die erste 
und zweite Armee zwischen Oise und Seine vor der Ost- 
front von Paris bleiben, der linke Flügel der zweiten Armee 
über Vertus-Fere Champenoise auf Möry, die dritte Armee 
auf Troyes-Vendeuvres vorgehen, der vierten Armee die 
Straße über Vitry-le-Frangois ösilich der Marne gehören. 
Dieser Befehl bildete den Vorläufer zu den am §. Sep- 
tember erlassenen Anweisungen für die erste bis siebente 
Armee, die später im Wortlaut folgen. — 
Der Rückblick über den Verlauf der Heeresbewegungen 
von der Ai#ne bis zur Marne führt zu der Uberzeugung, 
daß die dritte Armece, trotz auftretender Hemmnisse mannig- 
facher Art, ihre Bewegungen in der gebotenen Nichtung 
und mit Einsatz aller verfügbaren Kraft, um Rahmen des 
Ganzen zweckdienlich und siegreich durchgeführt hat. Wie- 
viel durchgreifender aber wäre ihr Erfolg geworden, wenn 
das XI. Armeekorpo und die 24. Reservedivision und 
wenn möglich — auch noch eine Kavalleriedivision der 
dritten Armee zur Verfügung gestanden hätten! Eine solche 
vor der Front der Armee tätige Heereskavallerie würde dem 
Oberkommando nicht nur einen weitgehenden Einblick in die 
feindliche Lage erbracht, sondern auch die Möglichkeit ge- 
schaffen haben, durch überholendes Vorgehen feindliche Ab- 
teilungen ab und zu aufzuhalten. Sicherlich hätte dann 
auch das Mehr von 3 Infanteriedivisionen die Stoßbkraft 
der dritten Armee derart erhöht, daß sie die französischen 
Nachhuten selbst nur im frontalen Nachdrängen schneller 
hätte niederwerfen und dadurch den Abzug der feindlichen 
Hauptkräfte entscheidender verhindern können. 
Der 5. September 
Das Oberkommando der dritten Armee ging am §. Sep- 
tember nach Chälons. Es schloß aus den auf Bahnhof 
Chälons vorgefundenen Papieren, daß der Feind seine 
Hauptkräfte rechtzeitig mit der Bahn auf Paris abbefördert 
hatte, und nahm deshalb das vor der dritten Armee liegende 
Gelände in Richtung auf Troyes im wesentlichen frei vom 
Feinde an. In dieser Auffassung wurde das Oberkommando 
auch nicht wankend, als am §. September abends die Flieger- 
meldung einging, daß am Spätnachmittag südlich der Straße 
Fere-Champenoise — Sommesous — Vitry-le-Franco-# an 
zahlreichen Orten feindliche Abteilungen aller Waffen be- 
obachtet worden seien. Man hielt sie für Nachhuten. 
Nechts von der dritten Armee war die zweite Armee 
am §. September gut vorwärts gekommen. Bei der ersten 
Armee bestand an diesem Tage bereits Gefechtsberührung 
mit 3 englischen Divisionen bei Coulommiers und mit dem 
Wesiflügel der Franzosen bei Montmirail. Sie schienen 
nur frontal zurückgedrückt, keineswegs aus dem Felde ge- 
schlagen zu sein. Ihr Rückzug ging scheinbar auf Nogent 
an der Seine. 
Die erste Armee schlug der Obersten Heeresleitung die 
Verfolgung des Gegners bis zur Seine und damit die 
Einschließung von Paris vor. 
Links von der dritten Armee hatte die vierte Armee 
am 5. September unter Nachhutgefechten des VIII. Armee- 
korps und VIII. Reservekorps gegen Kolonialtruppen die 
Linie Vitry-le-Frangois—St. Mard erreicht. 
Noch weiter links war die deutsche fünfte Armee nach 
Erstürmung der Maashöhen bei Stenay und Dun in dem 
engen Raume zwischen Verdun und den Argonnen nach 
Süden eingedreht. Unter täglichem Kampfe auf den we- 
nigen Nordsüdstraßen vordringend, beständig von Verdun 
her einem Flankenstoß starker Massen ausgesetzt, erreichte 
die fünfte Armee die Gegend von Triaucourt. Dork stieß 
sie auf 2 feindliche Armeekorps und erbat von der vierten 
Armee Unterstützung über Givry. Von der Obersten Heeres- 
leitung war am §. September bereits 2,20 Uhr früh an- 
geordnet worden: „Die vierte und fünfte Armee haben 
durch schleuniges Vorgehen in südöstlicher Richtung der 
sechsten und siebenten Armee UÜbergang über die obere Mosel 
zu öffnen.“ 
So stellte sich in großen Zügen die Lage des deutschen 
Einfallheeres unmittelbar vor der gewaltigen Entscheidungs- 
schlacht südlich der Marne dar. 
Mit der Auffassung bei dem Oberkommando der dritten 
Armee deckte sich die Anweisung der Obersten Heeres- 
leitung an die erste bis siebente Armee vom §. September 
1914, welche bei der dritten Armee erst nach Abfassung 
des Vormarschbefehlo für den 6. September einging. Dieser 
Vormarschbefehl setzte ganz im Sinne der Obersten Heeres- 
leitung den Vormarsch nach Süden fest. 
Die denkwürdige Weisung der Obersten Heeresleitung 
vom §. September besagte: 
„Der Gegner hat sich dem umfassend angesetzten Angriff 
der ersten und zweiten Armee entzogen und mit Teilen
	        
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