— 243 —
von den Flotten vor Taku Entsatz heischen sollten. Sie mußten nachts
über die Stadtmauer gelassen werden und brauchten Wochen, um sich
durch die Boxerscharen durchzuschleichen. Die Gräben lagen voller
Leichen, die letzten Luxushunde, die edelsten Rennpferde wurden geschlachtet,
um für die armen chinesischen Christen Nahrung zu schaffen. Aber kein
Entsatz ließ sich blicken.
Der Zug Seymours.
Und doch wurde während all der Zeit fieberhaft an der Aufgabe
des Entsatzes gearbeitet. Sofort nach der ersten Nachricht von der be—
drohlichen Wendung der Dinge in Peking hatte das internationale
Geschwader vor Taku eine starke Truppe gelandet, die von den Forts
unbehelligt blieb. Es waren 915 Engländer, 350 Deutsche, 300 Russen,
158 Franzosen, 104 Amerikaner, 51 Japaner, 40 Italiener und 25
Osterreicher, die sich unter den Befehl des englischen Admirals Seymour
stellten. Wir besitzen aus der Feder des Korvettenkapitäns Schlieper
von der „Hertha“ eine packende Schilderung des kühnen und bis dahin
einzigartigen Zuges der zweitausend Mann aller Kulturnationen, der
fast an den Zug der zehntausend Griechen unter Kenophon gemahnt.
Die Bahn Taku—Tientsin—Peking schien die Expedition leicht zu
machen, und in Tientsin, wo eine große Fremdenkolonie besteht, fand ein
glänzender Empfang statt; aber von dort aus mußte man unter stetem
Halt vorrücken. Überall waren Schienen aufgerissen, und schwelten die
Schwellen. Bei Langfang am 14. Juni wurden die Boxerhorden zurück-
geworfen, wobei Kapitän von Usedom verwundet wurde. Ohne Wagen
und Pferde und ohne Kavallerie sah sich die Expedition bald am Ende
ihrer Kräfte. Am 18. kamen die Züge vor der zerstörten Brücke über
den Peiho bei Yangsun zum Stillstand, konnten weder rück= noch vor-
wärts. Große Massen kaiserlicher Truppen mit schwerem Geschütz und
bewaffnet mit den modernsten Gewehren mit rauchlosem Pulver, während
unsere Matrosen noch das alte Modell 1871/84 führten, rückten von
Peking her ins Treffen ein. Zwar ließen die Chinesen etwa 500 Tote
auf der Walstatt; aber auch die Verbündeten waren am Ende ihrer
Kräfte. Die Eisenbahn mußte aufgegeben werden. Die kostbaren Waggons
wurden von den Chinesen verbrannt. Zum Glück hatte Oberleutnant
Röhr vier große Dschunken erobert, auf denen die Boxer Eisenbahn-
16“