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zur Erfüllung zu bringen, so ist die Dauer des verfassungswidrigen
Zustandes wenigstens in seiner zweiten Hälfte, d. h. vom Beginne der
Zwangsverwaltung an bis zum Vollzuge der Bundespflicht in die Hand
des Bundes gelegt. Dem Bunde ist dadurch die Möglichkeit gegeben,
in äußerst wirksamer Weise einer andauernden Pflichtverletzung ent-
gegenzutreten. Die Möglichkeit einer Entsetzung von der Regierungs-
gewalt muß auf den unbotmäßigen Gliedstaat eine größere und nach-
haltigere Wirkung ausüben als die einer kriegsmäßigen Besetzung.
Die Bestimmung, daß die Exekution bis zur Sequestration des
betreffenden Landes und seiner Regierungsgewalt ausgedehnt werden
könne, ist in die Reichsverfassung nicht aufgenommen worden. Der
Präsident des Bundeskanzleramtes erklärte diese Abweichung von der
norddeutschen Verfassung dahin: „Es ist die Aenderung, die dieser
Artikel erfahren hat, eine fahtisch in der Tat nicht wesentliche; die
Veranlassung zu der Aenderung liegt hauptsächlich auf dem Gebiete
der internationalen Konvenienz."
Hänel glaubt aus der Absichtlichkeit, mit welcher diese Verschieden-
heit herbeigeführt wurde, schließen zu müssen, daß der Rechtssatz nicht
mehr in Kraft steht, welcher zu einer vollen oder teilweisen Ergreifung
der Regierungsgewalt und damit zu einer unmittelbar wirksamen
Exehutionsgewalt ermächtigt.:) Allein es ist nicht einzusehen, welcher
Grund dafür spräche, daß das Reich zur Segquestration des Glied-
staates nicht mehr befugt sein solle. Abgesehen davon, daß der jetzige
Wortlaut des Art. 19 einer Exekution heine Grenzen gezogen hat,
daß demnach die Festsetzung derselben dem Organe, welches zur Exe-
kution berufen und verpflichtet ist, als vorbehalten angesehen werden
muß, geht Hänel auch darin fehl, daß er die Aenderung des Artikels
als eine sachliche auffaßt, obgleich Delbrüch die Aenderung als eine
nicht wesentliche bezeichnet, die nur in Höflichkeitsrüchsichten ihren
Grund habe. . s
Thudichum folgert aus der Tatsache, daß die frühere Bestim-
mung „die Exekution könne bis zur Sequestration des betreffenden
Landes und seiner Regierungsgewalt ausgedehnt werden,“ gestrichen
worden ist, es sei nun die Möglichkeit einer Sequestration durch den
Kaiser ausgeschlossen.) Ein Bedürfnis liege auch offenbar dafür nicht
vor, da der Kaiser, der über eine Million Soldaten gebiete, schwerlich
jemals nötig haben werde, auch nur einen Mann marschieren zu lassen,
um einen Beschluß des Bundesrates zu vollstrechen.
Der Annahme Thudichums hann jedoch aus denselben Gründen
wie der Hänels nicht beigestimmt werden. Das Nichtvorliegen eines
Bedürfnisses zu einer unmittelbaren Exekution kann jedenfalls nicht
dazu benützt werden, die rechtliche Zulässigkeit der Sequestration in
Zweifel zu ziehen. Wenn auch Gründe tatsächlicher Natur die An-
h) Hänel 1 S. 451.
2) Thudichum bei Holtzendorff 1 J. S. 28.
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