Full text: Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.

158 IV. Abschnitt. Schlußbestimmungen. 8 36. 
Die bloße Erklärung der Absicht, Staatsangehöriger des einen oder anderen 
Teils werden zu wollen, soll in Beziehung auf keinen der beiden Teile die 
Wirkung der Naturalisation haben. 
Art. 2. 
Ein naturalisierter Angehöriger des einen Teils soll bei etwaiger Rückkehr 
in das Gebiet des anderen Teils wegen einer, nach den 
ad 1. dortigen Gesetzen 
ad 2—5. Gesetzen des letzteren 
mit Strafe bedrohten Handlung, welche er vor d) seiner Auswanderung verübt 
d) Der Art. 2 des Vertrages bezieht sich dem Wortlaut, sowie der bei 
Abschluß des Vertrages maßgebend gewesenen Absicht nach nur auf die vor 
der Auswanderung, nicht aber auf die durch letztere verübten strafbaren Hand- 
lungen. Es kann daher ein Deutscher, welcher sich fünf Jahre in Amerika auf- 
gehalten und dort das Bürgerrecht erworben hat, im Falle seiner Rückkehr nach 
Deutschland wegen unerlaubter Auswanderung (§ 140 des St G.) weder zur 
Untersuchung noch zur Strafe herangezogen werden (s. Sten Ber. des Nordd. 
Bundes 1886 Bd. 1 S. 43). 
Ist jedoch bereits eine Strafe erkannt worden, so ist die Vollstreckung der- 
selben nicht als durch den Vertrag von selbst aufgehoben zu erachten, sondern 
es ist die Begnadigung durch den Landesherrn nachzusuchen. 
In dem Reichsanzeiger vom 24. Okt. 1888 ist ein Erlaß des großh. hessischen 
Staatsministeriums vom 10. Okt. 1888, betr. den zwischen dem Großherzogtum 
Hessen und den Vereinigten Staaten von Amerika abgeschlossenen Vertrag vom 
1. Aug. 1868 und insbesondere die Auslegung des Art. 2 Ziffer II des Schluß- 
protokolls zu demselben veröffentlicht worden, welcher also lautet: 
„Nachdem es in der letzten Zeit mehrfach vorgekommen ist, daß Straf- 
urteile, welche auf Grund des § 140 Ziff. 1 d. StGB. und des § 470 ff. d. St PO. 
ergangen waren, gegen solche Verurteilte vollstreckt worden sind, welche nach 
Art. 1 des rubrizierten Vertrags die amerikanische Staatsangehörigkeit erlangt 
hatten, sehen wir uns veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß nach dem Geiste 
dieses Vertrags und der Absicht, welche beim Abschluß desselben vorgewaltet, 
sowie nach der in den anderen deutschen Bundesstaaten, die gleiche Verträge 
mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen haben, bestehenden Übung, Ziff. II 
des Schlußprotokolls dahin auszulegen ist, daß hierdurch nicht allein die Straf- 
verfolgung amerikanischer Staatsangehöriger wegen der durch die Auswande- 
rung oder nach der Auswanderung begangenen Verletzung der Wehrpflicht, 
sondern auch die Vollstreckung eines deshalb erlassenen Urteils ausgeschlossen 
erscheint. Dabei ist es gleichgültig, ob der Verurteilte zur Zeit des Urteils- 
erlasses bereits naturalisierter Staatsangehöriger war, oder es erst nachträglich 
geworden ist.“ 
Auf Deserteure oder Reservisten, welche der Einberufung zur Fahne nicht 
Folge geleistet haben, bezieht sich der Vertrag nicht. 
Die bloße Fortreise eines beurlaubten, nicht bei der Fahne stehenden 
Reservisten oder Landwehrmanns ohne Auswanderungskonsens, bzw. ohne vor- 
herige Anzeige, ist keine Desertion, sondern nur ein mit geringer Strafe 
bedrohtes Disziplinarvergehen. Erst wenn an den Reservisten oder Landwehr- 
mann eine Gestellungsorder durch Zustellung an ihn selbst oder in seinem letzten 
Wohnorte, oder durch öffentliche Bekanntmachung ergangen ist und er diesem 
Befehle nicht Folge leistet, macht er sich der Desertion schuldig, und wenn dies 
innerhalb der ersten fünf Jahre seines Aufenthalts in Nordamerika geschieht, so 
schützt ihn der Vertrag nicht, indem die ohne Konsens erfolgte Auswanderung 
erst nach fünfjährigem Aufenthalt und Naturalisation zu einer rechtlich perfekten 
  
Auswand ung wird. 
8§ 36.
	        
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