Full text: Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.

Anhang. Anlage Nr. 8. 225 
ist. Uber die Gründe einer solchen Maßregel ist die Landes- 
polizeibehörde nur dem vorgesetzten Ministerium, nicht aber 
der Partei Rechenschaft zu geben schuldig. 
Daß diese letztere Bestimmung nicht durch ein späteres Gesetz aus- 
drücklich als aufgehoben bezeichnet worden ist, steht fest. 
Dagegen fragt es sich, ob dieselbe nicht dadurch außer Wirksamkeit 
gesetzt worden ist, daß eine ihr entgegenstehende Rechtsregel durch ein 
späteres Gesetz gegeben und so der Wille des Gesetzgebers, das frühere 
Gesetz aufzuheben, erkennbar gemacht ist. 
In dieser Hinsicht unterliegt es zunächst keinem Bedenken, daß 
der §2 Nr. 2 a. a. O. nicht durch das Reichsgesetz über die Freizügigkeit 
vom 1. November 1867 (Bl. S. 55) beseitigt worden ist, da es der 
§ 3 desselben ausdrücklich bei den Landesgesetzen bewenden läßt, soweit 
nach denselben bestrafte Personen Aufenthaltsbeschränkungen durch die 
Polizeibehörde unterworfen werden können. 
Weiter kann aber auch keineswegs anerkannt werden, daß jene 
Bestimmung durch Art. V der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 
1850 außer Wirksamkeit gesetzt worden ist, welcher vorschreibt: „Die 
persönliche Freiheit ist gewährleistet. Die Bedingungen und Formen, 
unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondere eine Ver- 
haftung, zulässig ist, werden durch das Gesetz bestimmt.“ — Selbst wenn 
ohne weiteres davon auszugehen wäre, daß das Recht des Aufenthalts 
zum Zweck der Niederlassung in dem Recht auf persönliche Freiheit 
im Sinne des Art. V einbegriffen sei, wogegen sich indes namentlich 
aus der Entstehungsgeschichte des Art. V Bedenken begründen lassen, 
so bietet doch so wenig der Inhalt dieser Vorschrift wie ihr Charakter 
als Verfassungsnorm einen Anhalt für die Annahme, daß dieselbe den 
gesamten auf Gesetz beruhenden Rechtszustand, welcher von ihr vor- 
gefunden wurde, beseitigt habe, oder daß es durch dieselbe den das Gesetz 
handhabenden Behörden überlassen wäre, ihrerseits zu prüfen, ob und 
inwieweit ein einzelnes vorhandenes Gesetz dem Prinzip des Art. V, 
wonach die Bedingungen und Formen der Beschränkung der persfön- 
lichen Freiheit gesetzlich fixiert sein sollen, genügend entspreche, um es 
je nach dem Resultat dieser Prüfung anzuwenden oder nicht. Eine der- 
artige Revision des bestehenden Rechts war Sache der die Verfassung 
ausführenden Gesetzgebung. Die letztere hat bekanntlich das Recht des 
Aufenthalts zum Zweck der Niederlassung in Preußen nicht neu geregelt, 
sondern nur in einem hier nicht in Betracht kommenden Punkte modi- 
fiziert (Gesetz vom 21. Mai 1855, Ges.-Samml. S. 311). Es fragt sich 
daher nur, ob der § 2 Nr. 2 a. a. O. durch die spätere Strafrechtsgesetz- 
gebung beseitigt ist, indem diese die Stellung unter Polizeiaufsicht als 
durch den Strafrichter zu verhängende Nebenstrafe allgemein einführte 
Cahn, Staatsangehörigkeitsgesetz. 4. Aufl. 15
	        
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