Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Zweiter Jahrgang. 1874. (2)

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5. Heimath-Wesen. 
Verpflichtung des Dienstortes aus §. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870. 
Ein in Sachen Strasburg wider Züllchow ergangenes Erkenntniß des Bundesamts für das Heimath- 
wesen vom 29. Juni 1874 spricht sich dahin aus, daß die Hülfsbedürftigkeit eines erkrankten Dienstboten durch 
die bestehende Verpflichtung des Dienstherrn zur Krankenpflege allein nicht ausgeschlossen wird, daß aber im 
Falle der Erfüllung dieser Pflicht die sechswöchentliche Frist, innerhalb deren der Armenverband des Dienst- 
ortes die Krankenpflege ohne Ersatzanspruch gewähren muß, ohne Rücksicht auf die Zeitdauer, für welche der- 
selbe die Kurkosten bezahlt hat, erst mit dem Aufhören der Privatpflege beginnt. 
Im Johanniter-Krankenhause zu Züllchow ist vom 24. März 1873 bis zu ihrem Tode am 
13. Juni 1873 die ledige Wilhelmine St. aus Strasburg in der Uckermark verpflegt worden, nach- 
dem sie im Gesindedienste des Obermüllers S. zu Züllchow an Gelenkrheumatismus erkrankt war. 
Kläger ist bereit, die in den ersten sechs Wochen entstandenen Kurkosten selbst zu tragen und fordert 
nur für die Verpflegung an den übrig bleibenden 39 Tagen die tarifmäßige Vergütung von 6 Sgr. 
pro Tag mit 7 Thlr. 24 Sgr. von dem Verklagten. Letzterer gesteht die Ortsangehörigkeit der 
Verpflegten in Strasburg zu, lehnt aber die Erstattung der Kosten ab, weil die Kranke auf Antrag 
ihres Dienstherrn S. in das Krankenhaus aufgenommen und nicht, wie klägerischerseits behauptet, 
als Hülfsbedürftige von dem klagenden Armenverbande verpflegt worden sei. Uebrigens räumt Ver- 
klagter die Bezahlung sämmtlicher Kurkosten durch den Kläger ein; er hält aber diesen Umstand für 
unerheblich, da der Dienstherr verpflichtet gewesen sel, die Kurkosten zu decken, eine Hülfsbedürftig- 
keit der Kranken also nicht angenommen werden könne. 
Der erste Richter, welcher den Verklagten nach dem Klageantrage verurtheilt hat, geht davon 
aus, daß Wilhelmine St. vermöge ihrer schweren Erkrankung der öffentlichen Unterstützung bedürftig 
 gewesen sei, auch wenn der Dienstherr für die Kurkosten einzustehen hatte. Selbst der Umstand, 
daß die Kranke vom Dienstherrn der Krankenanstalt übergeben worden sei, schließe die Nothwendig- 
keit der Armenpflege nicht aus, da der Dienstherr nach §§. 85 ff. der Gesindeordnung in allen 
Fällen die nächste Fürsorge für den erkrankten Dienstboten zu treffen habe, gleichviel, ob er oder 
der Armenverband oder sonst wer für die Pflegekosten aufkommen müsse. Daß aber die Mittel 
zur Heilung von dem Dienstherrn vorgestreckt worden seien, werde vom Verklagten selbst nicht 
behauptet. 
Die fristzeitige Berufung des Verklagten kommt darauf zurück, daß ein Dienstbote nicht hülfs- 
bedürftig sei, der nach seiner Erkrankung vom Dienstherrn in einer Krankenanstalt untergebracht 
werde. Kläger erklärt es in der Gegenschrift für unerheblich, daß nicht der erkrankte Dienstbote, 
sondern der Dienstherr im vorliegenden Falle die Hülfe des Armenverbandes angerufen habe. 
In jetziger Instanz ist die Erhebung des von beiden Parteien angetretenen Beweises für ihre 
differirenden Behauptungen nachgeholt worden. Nach der am 19. April 1873 mit der Kranken 
selbst aufgenommenen Verhandlung ist dieselbe von ihrem Dienstherrn in das Johanniter-Kranken- 
haus geschickt worden. Ebenso bekundet der Inspektor L., daß Wilhelmine St. auf Ansuchen des 
Obermüllers S. in die Anstalt aufgenommen worden sei, daß derselbe aber später — wann ist 
nicht festgestellt — im Krankenhause sich eingefunden und erklärt habe, auf die Länge der Zeit 
kämen ihm die Kosten zu hoch, zumal der Armenverband solche zu tragen habe. 
Hiernach muß als feststehend erachtet werden, daß die im Dienste des Obermüllers S. er- 
krankte Wilhelmine St. nicht durch Vermittelung des klagenden Armenverbandes, sondern auf un- 
mittelbar bei der Verwaltung des Johanniter-Krankenhauses gestellten Antrag ihres Dienstherrn in 
das Krankenhaus aufgenommen worden ist. Eine Verpflichtung des Klägers zur Gewährung der 
Krankenpflege trat erst ein, als der Dienstherr später sich von der ferneren Verpflegung seiner 
Dienstmagd, wie es den Anschein gewinnt, lossagte und dieselbe hülflos ließ, während vorher der
	        
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