-----272-- 4. Heimath Wesen.
1. Die in der Gemeindeverwaltung vermittelte, aber nicht aus Armenmitteln bezahlte Gewährung
eines Obdachs ist keine öffentliche Armenunterstützung.
2. Die von einem Gemeindevorsteher für einen angeblich Hilfsbedürftigen gegen den ausgesprochenen
Willen der Gemeinde gewährte Beihülfe erlangt auch dadurch den Karakter einer öffentlichen
Armenunterstützung nicht, daß die Gemeinde bei Prüfung der Rechnung den Posten nur deshalb
passiren läßt, damit der Vorsteher nicht persönlich darunter leide.
3. Uebernahme eines Hilfsbedürftigen kann nur verlangt werden, wenn die Nothwendigkeit einer
öffentlichen Armenunterstützung auch noch zur Zeit der Klage fortbestanden hat.
Die Wittwe K. hat mit ihren beiden Söhnen Hermann und Bernhard und ihrer schwachsinnigen, 37 Jahr alten
Tochter Katharina Marie K. bis 1867 in Dalvers gewohnt, wo die Familie unbestritten Wohnrechte besaß.
Im Jahre 1867 zog die Familie nach Hahlen. Nach 5 Jahren siedelten die beiden Brüder, unter Mitnahme von
Mutter und Schwester, nach Andorf über, wo die beiden ersteren für die Zeit vom Mai 1872 bis dahin
1876 eine Heuer von dem Kolon R. übernommen hatten. Der Heuervertrag wurde aber am 24. Januar
1874 wieder aufgelöst, weil die Brüder K. der in demselben übernommenen Verpflichtung nicht genüge leisten
konnten, der Bauernschaft Andorf Sicherheit zu geben, daß ihre schwachsinnige Schwester der Bauernschaft
nicht zur Last falle, und ihr in der Bauernschaft Dalvers das Domizilrecht und der Unterstützungswohnsitz
verbleibe. Hierdurch ist der Kläger nach seiner Behauptung in die Lage gekommen, der Familie Obdach ver-
schaffen zu müssen. Derselbe hat deshalb gegen den Ortsarmenverband Dalvers Klage auf Uebernahme der
Wittwe K. und ihrer Tochter erhoben, ist damit aber durch Erkenntniß der Hannoverschen Deputation für das
Heimathwesen vom 22. September 1874 abgewiesen worden.
Auf die Berufung des Klägers hat das Bundesamt die erstrichterliche Entscheidung durch Erkennt-
niß vom 13. März 1875 aus folgenden Gründen bestätigt:
Die Verpflichtung des Armenverbandes des Unterstützungswohnsitzes zur Uebernahme des in
dem Bezirke eines anderen Armenverbandes sich aufhaltenden Deutschen und das entsprechende
Recht des Armenverbandes des Aufenthaltsortes zur Ausweisung ist nach S. 5 des Freizügigkeits=
gesetzes vom 1. November 1867 und §. 31 des Gesetzes vom 6. Juni 1870 dadurch bedingt, daß
die Unterstützung desselben aus öffentlichen Armenmittelr aus andern Gründen als wegen einer
nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit nothwendig geworden sei. Wie das Bundesamt in kon-
stanter Judikatur angenommen hat, setzt das Gesetz also als unerläßliches Erforderniß voraus,
daß dem Auozuweisenden resp. zu Uebernehmenden eine öffentliche Armenunterstützung aus einem
unter diese Paragraphen fallenden Grunde bereits habe gewährt werden müssen. Dies ist
nun nicht, wie seitens des Klägers behauptet wird, seinerseits durch Gewährung des Obdachs
seit der am 24. Januar 1874 erfolgten Auflösung des von den Söhnen der Wittwe K. geschlossenen
Heuervertrages geschehen. Denn, wie sich aus den eidlichen Aussagen der Zeugen Bernhard K.
und Kolon R. ergiebt, hat der letztere, nachdem das Amt der Gemeinde Andorf aufgegeben hatte,
der mit Obdachlosigkeit bedrohten Familie ein anderes Obdach zu verschaffen, auf Ersuchen des
Gemeindevorstehers die Familie einstweilen in ihrer bisherigen Wohnung belassen, ohne das von
einer ihm dafür von der Gemeinde Andorf zu leistenden Vergütung die Rede gewesen wäre. Wenn
der ect. R. am 15. November 1874, also erst während der gegenwärtigen Instanz beim Amte er-