Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Dritter Jahrgang. 1875. (3)

5. 
Erkenntniß 
— 697 — 
Arbeitsunfähigkeit nothwendig geworden, also eingetreten ist. Wäre nach §. 5 des Freizügigkeits- 
gesetzes die Ausweisungsbefugniß auch dann begründet, wenn Armenpflege zwar noch nicht einge- 
treten, die Nothwendigkeit künftiger Unterstützung aber bereits zum Vorschein gekommen ist, so 
würde nothwendig auch der Uebernahmeanspruch im Sinne des Reichsgesetzes §. 31 unter der 
gleichen Voraussetzung für begründet zu erachten sein, da sich Ausweisungsbefugniß und Ueber- 
nahmepflicht gegenseitig bedingen. Der desfallsigen Interpretation des §. 5, welche Kläger versicht, 
steht aber entgegen, daß die Nothwendigkeit künftiger Unterstützung eine Eventualität ist, welche 
mit Bestimmtheit nicht im voraus festgestellt, nur mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit 
vorausgesagt werden kann, und daß im Geiste des Freizügigkeitsgesetzes wie nach dem Wortlaute 
des §. 5 die Nothwendigkeit künftiger Unterstützung eines Verarmten die Ausweisung desselben 
ebensowenig rechtfertigt, wie nach §. 4 desselben Gesetzes die Besorgniß künftiger Verarmung die 
Zurückweisung eines Neuanziehenden begründet. 
Ueber die Anwendbarkeit des §. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 äußert sich das 
in Sachen Dortmund wider Westfalen dahin: 
Der zweite aus §. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 abgeleitete Einwand des Verklagten 
ist durch das Resultat der in jetziger Instanz veranlaßten Beweisaufnahme beseitigt. Mag auch 
Sch. das Zimmerhandwerk erlernt haben und früher als Zimmergeselle thätig gewesen sein, so 
war doch sein Dienstverhältniß in Dortmund zur Zeit der Erkrankung dasjenige eines Handlangers, 
nicht das eines Gesellen oder Gewerbegehilfen, wie der Polier W. eidlich bezeugt hat. §. 29 
des Reichsgesetzes findet daher im vorliegenden Falle keine Anwendung. 
  
6. In Bezug auf die Höhe des Verpflegungssatzes verlangt das Bundesamt spezielle Nach- 
weise, welche die erkennende Behörde in den Stand setzen, die Angemessenheit zu beurtheilen. In Sachen 
Freiburg 
wider Berlin wird dies folgendermaßen motinvirt: 
Auch in dieser Instanz hat sich Kläger zur Begründung seiner Forderung lediglich auf die 
Bescheinigung des Großherzoglichen Bezirksamts zu Freiburg vom 22. Oktober 1874 bezogen. 
Indessen genügt dieses Schriftstück nicht, um die Angemessenheit des geforderten Verpflegungssatzes 
von 1 fl. täglich nachzuweisen. Wie das Bundesamt in konstanter Judikatur angenommen hat, 
müssen vielmehr von der betreffenden Partei diejenigen thatsächlichen Unterlagen beigebracht werden, 
welche der entscheidenden Behörde ein selbständiges Urtheil darüber ermöglichen, ob die bean- 
spruchten Verpflegungssätze nach Lage der Verhältnisse wirklich nothwendiger Weise aufzuwenden 
waren. In Ermangelung detaillirter Angaben hierüber hat das Bundesamt im vorliegenden 
Falle nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß für die Verpflegung des Bildhauers S. 
8 Thaler haben verausgabt werden müssen; die Bestätigung des ersten Erkenntnisses mußte daher 
erfolgen. 
7. Armenpflege ist in Sachen Berlin wider Fraustadt angenommen, obwohl die verpflegte 
Person solche nicht beantragt hatte: 
Das erstinstanzliche Erkenntniß hat den Kläger mit seinem Anspruche auf Erstattung der 
durch zweimalige Verpflegung der unverehelichten Bertha W. in der Berliner Charité entstandenen 
und vom Kläger übernommenen Kosten deshalb zurückgewiesen, weil es am Beweise dafür mangele, 
daß Bertha W. Gegenstand der öffentlichen Armenpflege gewesen sei. Kläger hat gegen diese 
Emscheidung fristzeitig Berufung eingelegt und eventuell neuen Beweis angetreten, um die Noth- 
wendigkeit seines Eintretens darzuthun. Der Beweis ist soweit nöthig erhoben worden und nach 
dem Ergebnisse der Beweisaufnahme ist das Rechtsmittel des Klägers für begründet zu erachten.
	        
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