Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Elfter Jahrgang. 1883. (11)

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4. Heimath-Wesen. 
  
Zu §. 17 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 über den Unterstützungswohnsitz. 
Die Ehefrau des Kutschers S. war, während ihr Ehemann in der Provinzial-Irrenanstalt zu Grafen- 
berg detinirt war, länger als zwei Jahre in Düsseldorf wohnhaft gewesen. Am 9. Mai 1882 wurde S. aus 
der Irrenanstalt versuchsweise entlassen und begab sich in die Wohnung seiner Ehefrau, welche ihm indeß 
erklärte, daß sie, wenn er in sein früheres leichtsinniges Leben zurückfallen und nicht arbeiten werde, ihn nicht 
bei sich behalten könne. S. verbrachte eine Nacht in Düsseldorf und entfernte sich dann unter dem Vorgeben, 
er wolle in Neuß, wo er früher beschäftigt gewesen sei, Arbeit suchen. Bereits am 17. Mai 1882 wurde 
er rückfällig und der Irrenanstalt wieder zugeführt. 
Der Ortsarmenverband Düsseldorf, dessen Fürsorge die Ehefrau S. seit dem 24. Oktober 1882 an- 
heimgefallen war, nahm an, daß dieselbe durch die Rückkehr ihres Mannes die Selbständigkeit in Beziehung 
auf ihre Domizilverhältnisse verloren habe und wieder ihrem Manne folge, und wurde deshalb, da der Mann 
landarm war, gegen den Landarmenverband der Rheinprovinz wegen Erstattung der aufgewendeten Unter- 
stützungskosten klagbar. 
selb ddie Rheinische Deputation für das Heimathwesen verwarf die Ansicht des Klägers und wies den- 
elben ab. 
Gegen diese Entscheidung legte Kläger Berufung ein und machte nunmehr auch geltend, daß die Ehe- 
frau S. in Folge der ihrem Manne durch dessen Unterbringung im Irrenhause fortlaufend gewährten öffent- 
lichen Unterstützung gar nicht in der Lage gewesen sei, selbständig in Düsseldorf einen Unterstützungswohnsitz 
zu erwerben. 
Das Bundesamt hat durch Erkenntniß vom 13. Oktober 1883 die erstinstanzliche Entscheidung be- 
stätigt. Die 
Gründe- 
des Erkenntnisses lauten: 
Die Annahme des Klägers, daß die derzeit der Armenpflege desselben anheimgefallene Ehefrau des 
Kutschers S. in Folge der am 9. Mai 1882 bewirkten versuchsweisen Entlassung ihres Ehemannes aus der 
Provinzial-Irrenanstalt zu Grafenberg den Unterstützungswohnsitz, welchen sie inzwischen auf Grund der 
Vorschrift des S. 17 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 in Düsseldorf selbständig erworben hatte, verloren 
habe und seitdem wieder die Landarmeneigenschaft ihres Mannes theile, erscheint nicht zutreffend. Man kann 
dagegen mit dem ersten Richter anführen, daß das durch die versuchsweise Entlassung des S. eingetretene 
Verhältniß, zumal derselbe acht Tage darauf der Irrenanstalt wieder zugeführt werden mußte, nur einer Be- 
urlaubung gleichzustellen sei, und daß S. in dieser Lage ein eheliches Zusammenleben und einen gemeinsamen 
Hausstand mit seiner Frau nicht definitiv wieder habe beginnen können. Abgesehen hiervon ist in der vor- 
übergehenden Rückkehr des S. zu seiner Frau noch nicht eine Wiedervereinigung der Eheleute, wie sie zur 
Beseitigung der Selbständigkeit der Ehefrau erforderlich wäre, zu erblicken, da S., nachdem er eine Nacht in 
der Wohnung der Frau zugebracht hatte, sich wieder nach außerhalb entfernte, und endlich kann auch nicht 
angenommen werden, daß die Frau verpflichtet gewesen sei, ihrem Manne ins Ungewisse zu folgen. S. hatte 
zwar erklärt, daß er sich in Neuß um Arbeit bemühen werde; es war indeß erst abzuwarten, ob er nicht 
wieder sein früheres leichtsinniges Leben beginnen werde, und erschien es überhaupt fraglich, ob es dem völlig 
mittellosen, durch den mehrjährigen Aufenthalt in der Irrenanstalt der bürgerlichen Gesellschaft entfremdeten 
Manne gelingen werde, sich und seiner Ehefrau eine gesicherte Existenz und namentlich, was die Frau, wenn 
sie ihm folgen sollte, verlangen konnte, einen geordneten Hausstand zu verschaffen. Unter diesen Umständen 
war es völlig gerechtfertigt, wenn die Frau vorerst in ihrer Wohnung zurückblieb. Ihre Befugniß zum Ge- 
trenntleben hatte sonach, als der Mann am 17. Mai 1882 der Frrenanstalt wieder zugeführt wurde, noch 
nicht aufgehört. 
Völlig verfehlt ist es, wenn Kläger zur Begründung seines Anspruchs gegen den Beklagten jetzt 
ausführt, es habe die verehelichte S. in Folge der ihrem Ehemanne durch die Verpflegung in der Frren- 
anstalt zugekommenen Unterstützung gar nicht selbständig ein Huülfsdomizil erwerben können. Wenn das
	        
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