Object: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

694 II. 1. Der Wiener Congreß. 
Allem nachgegeben, weil man es lieber mochte, wenn lieber wir (da man 
auch von uns wußte, daß wir immer eine feste und kräftige Verfassung 
wollen würden) den Fürsten, denen allen die Fesseln einer Constitution 
lästig sind, unangenehm würden und gefährlich erschienen.“" Daß aber 
die Hofburg selber eine feste und kräftige Verfassung nicht wallen konnte, 
war ihm noch immer nicht klar geworden; vielmehr hoffte er sich rasch mit 
Oesterreich und Hannover über einen der beiden Entwürfe zu verständigen 
und etwa in acht Tagen die Verhandlungen mit Baiern und Württem- 
berg wieder aufzunehmen.) Während die preußischen Staatsmänner 
also, treufleißig und arglos, Wasser in das deutsche Danaidenfaß schöpf- 
ten, verhandelte Metternich mit Münster insgeheim über den Plan eines 
Deutschen Bundes ohne Preußen! 
Stein versah die Arbeit Humboldt's mit seinen Bemerkungen, for- 
derte höhere Rechte für die Mediatisirten und die Reichsritter, aber auch 
ein reicheres Maaß von Volksrechten, namentlich die Aufhebung der Leib- 
eigenschaft und des Dienstzwanges sowie die Ablösung der Frohnden in 
ganz Deutschland. Ernstlichen Anstoß nahm Stein allein daran, daß 
Humboldt, aus Rücksicht auf Oesterreich, die Bestimmungen über die Land- 
tage abgeschwächt und den Landständen nur noch eine berathende Stimme 
eingeräumt hatte. „Das ist ein Riesenschritt rückwärts“, erwiderte der 
Freiherr. „Preußen hat unter allen Ländern am wenigsten Ursache ihn 
zu thun und zu veranlassen. In diesem Staate vereinigen sich alle 
Elemente, die eine ruhige, verständige Bewegung kräftig organisirter Land- 
stände verbürgen: Nationalität, Gewohnheit und erprobte Bereitwilligkeit 
Abgaben zu leisten, Opfer zu bringen, Besonnenheit und gesunder Men- 
schenverstand, allgemeine Bildung. Oesterreich kann aus vielen Gründen 
nicht gleiche Grundsätze aussprechen, wegen der Fremdartigkeit seiner Be- 
standtheile, dem niederen Zustande seiner allgemeinen Bildung, den Maxi- 
men seiner Regierung und Regenten, und es mag aus diesen Gründen 
eine Ausnahme machen. Man überlasse es ihm sich auszusprechen.““) 
Also sah sich selbst dieser feurige Parteigänger des lothringischen Kaiser- 
thums genöthigt eine Ausnahmestellung für Oesterreich zu fordern sobald 
auf die praktischen Folgen des bündischen Lebens die Rede kam. 
Alle die saueren Mühen dieser Decemberwochen blieben für jetzt 
verlorene Arbeit. Denn mittlerweile verschärfte sich der Streit um die 
sächsisch-polnische Frage, die drohende Kriegsgefahr nahm Aller Gedanken 
in Anspruch, und während der ersten Hälfte des Januars rückte das 
deutsche Verfassungswerk keinen Schritt von der Stelle. Sobald die Luft 
etwas reiner ward, kehrte Humboldt sofort wieder zu seinem Schmerzens- 
kinde zurück. Er hatte inzwischen mit dem wohlmeinenden Weimarischen 
Minister von Gersdorff viel verkehrt, die Wünsche der Kleinstaaten näher 
*) Humboldt an Hardenberg, 11. December 1814. 
*) Stein's Bemerkungen zu dem Entwurfe ohne Kreise 26. u. 29. Dezember 1814. 
 
	        
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